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Dorothee Sachinian

Magengrummeln


Heute mache ich so einen richtig schönen Spaziergang in der neu erwachten Natur.
Das Wetter ist ideal, der Frühsommer noch nicht zu heiß.
Endlich einmal wieder richtig Luft schnappen und durchatmen.
Ich starte ohne größere Vorbereitungen, nur ein bisschen Wasser und
ein Äpfelchen packe ich in meine Tasche. Gleich neben dem Haus beginnt ein Hohlweg,
der sich steil ansteigend durch die Weinberge windet.
Die letzten Regengüsse haben eine Menge Erdreich von den Seiten heruntergeschwemmt.
Der rotbraune Matsch liegt nun auf dem teilweise mit Kopfsteinpflaster belegten Weg.
Ich wage den Aufstieg und komme ein paar Minuten später ziemlich atemlos auf der Höhe an.
Das Wetter ist so klar, dass ich die circa 25 km weit entfernte Industriestadt an ihren
hochaufragenden Schornsteinen erkennen kann. Aus ihnen quellen ganz duftig
aussehende weiße Rauchwolken schräg aufsteigend in den Himmel.
Rechts davon, in geringem Abstand, sehe ich die vier Kuppeln der
Kühltürme des Kernkraftwerks der Nachbarstadt. Sie leuchten weiß und sind aus dieser
Entfernung immer noch gut zu erkennen.
Riesige Überlandmasten ziehen die dicken Leitungen zur Versorgung der
umliegenden Städte vom Kernkraftwerk aus in alle Himmelsrichtungen.
Ich setze meinen Marsch fort.
Um mich herum befinden sich nun weite Wiesen, unterbrochen von einigen Baumgruppen
und undurchdringlichen Büschen.
Die Wiesen sind überwiegend eingezäunt, manchmal mit Stacheldraht, auch mit Holzzäunen.
Die Bäume sind fast alle schon in sattes Grün gekleidet.
Braune Blätter, die ich auch sehe, sind wohl Überbleibsel des letzten Jahres, in dem es
so unerträglich heiß war. Auch das an den Bäumen vertrocknete Obst hängt teilweise noch.
Die braunen Blätter hängen immer an ganzen Ästen zwischen denen,
die das junge, hellgrüne Laub tragen.
Links von mir, hinter einer Brombeerhecke, beginnt wieder ein Feld mit Weinpflanzungen.
Es raschelt etwas und bei vorsichtigem Anschleichen sehe ich zwei kleine Rehe, die
vollkommen sorglos in den Pflanzungen nach jungen Trieben suchen.
Das bekomme ich nicht mehr überall zu sehen:
Wilde Tiere, die sich am hellichten Tag direkt vor meiner Nase tummeln.
Ich nehme mir Zeit für diese idyllische Szene, die ziemlich abrupt endet, da ein
Fußgänger mit seinem Hund auftaucht.
Der Hund ist ziemlich groß und nicht angeleint und stöbert sofort zwischen den
Rebstöcken herum, um die Tiere, die er wittert, zu jagen.
Die Rehe flüchten panisch, wobei zu beobachten ist, dass eines der Tiere etwas zurückbleibt.
Es hat nur drei Beine. Sein rechter Vorderlauf fehlt.
Vermutlich ist es als Rehkitz unter einen Mähdrescher geraten.
Das Tier hat dieses Unglück überstanden und sich offensichtlich mit seiner Behinderung arrangiert.
In meiner Jackentasche ertaste ich einen Müsliriegel, den ich seit dem letzten
Spaziergang mit mir herumtrage.
Da er gerade dabei ist, sich aufzulösen, esse ich ihn lieber und werfe das Papierchen
in einen bereitstehenden Abfalleimer. Dieser steht neben einer Holzbank unter einem riesigen
Fichtenbaum, und lädt vorbeiziehende Spaziergänger zu einer Ruhepause ein.
Da der Behälter vollkommen überfüllt ist, quillt der Müll meiner Vorgänger über den Rand und
bedeckt das Gras und die niedrigen Blumen um ihn herum.
Der frische Wind trägt einiges davon mit sich.
Mein Weg führt mich langsam wieder den Berg hinab.
Ich gehe entlang eines kleinen Bächleins, das in winzigen Staustufen aufgehalten wird,
um dann über deren Ränder in das nächste Becken zu plätschern.
Ein kleines Vögelchen fliegt in großem Tempo über den Bach und stößt laute Schreie aus.
Anhand seines wunderschönen türkisen Federkleides mache ich einen Eisvogel aus.
Während ich mein Glück noch nicht fassen kann eine so seltene Beobachtung
gemacht zu haben, setze ich mich auf einen Fels am Bach. Ich entledige mich meiner Sandalen
und lasse meine Füße im klaren Wasser baumeln.
Ich denke so bei mir, dass es mit der Natur doch eigentlich so schlecht
nicht stehen kann, wenn ich noch in der Lage bin, solche Beobachtungen zu machen.
Unter der Wasseroberfläche mache ich dabei eine alte Farbdose aus und etwas weiter
einige rostige Batterien, die von winzigen Fischen umschwommen werden.
Mein Blick gleitet weiter flussabwärts und verweilt bei einer alten, zerrissenen,
ehemals weißen Plastiktüte.
Sie blieb an einem Weidenast hängen, der ins Wasser ragt.