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Gudrun Schilken

Ich bin fertig


Also, ich tu mich jetzt wirklich schwer, das zu erzählen.
Da steht mir meine Erziehung total im Weg. „Sauberkeitserziehung“ – allein das Wort sagt schon aus, wie lieblos das Thema Verdauung behandelt wird. Und ich bin ganz früh sauber gewesen hat mir meine Mutter immer stolz erzählt. Da war ich noch keine zwei Jahre alt.

Na und da ist das ja kein Wunder, dass ich ein Problem damit habe. Mit dem.... Ähm, also ich habe ... Verstopfung. Ich krieg es einfach nicht raus. Irgendwo klemmt es und staut. Ich fühle mich übervoll und unwohl. Es wird einfach Zeit, dass ich entschlacke, sonst vergifte ich mich noch selbst. Es muss einfach raus. Ich hab Krämpfe in den Hirngedärmen und krümme mich vor Schmerz. Mir fehlt die abwechslungsreiche Kost für die Seele, damit ich verdauen kann. Der Alltag sorgt nicht dafür, dass es flutscht. Es braucht die geistige Bewegung, um eine geregelte Verdauung zu haben. Ich bewege mich zu wenig.
Aber Ruhe ist auch nötig zum Verdauen. Nur immer stört jemand, lasse ich mich abhalten.
So, mir reicht es jetzt. Ich versuche es. Ich ziehe mich nun zurück. Türe zu und Ruhe! Es geht jetzt ganz einfach um die Wurst!

Hm, so ein stilles Örtchen ist nicht gerade gemütlich. Meist ist es recht karg eingerichtet, nicht wahr? Sanitäranlage! Schon wieder so ein Wort. Wie soll ich hier meine Geschäfte erledigen? Geschäfte werden in angenehmer Atmosphäre getätigt. Zwischen den Kacheln ist mir kalt. Mein Laptop und ich fühlen uns hier nicht wohl.

Ich will jetzt endlich scheißen.
Da, jetzt ist es rausgerutscht.
Das Wort „Scheiße“ zu benutzen, gar zu schreiben zeugt von einer gewissen Primitivität, Hilflosigkeit im Sprachgebrauch. Und doch: "Scheiße!" ist im gesamten deutschen Sprachraum das weitest verbreitete Schimpfwort und wird sehr oft als Interjektion in adverbialen oder adjektivischen Bestimmungen benutzt.
Es gab Zeiten in der Literatur, da wurde von den Kritikern die Fäkalsprache hoch gelobt. Unter großem Applaus derer, die es „wissen müssen“, den sogenannten Schlauschissern, hat mancher Schreibende wortreich in Ausscheidungen gewühlt. Schließlich ist uns nichts Menschliches fern, - das war wahrscheinlich die Botschaft dieser Epoche.
Wer derzeit über Scheiße schreibt, macht sich gleich schmutzig. Und das Gegenüber wendet sich angewidert ab, als würde es bereits vom Wort allein mit Fäkalien beschmiert. Dabei ist es durchaus befreiend in bestimmten Momenten herzhaft „Scheiße“ auszurufen. Auch der Literaturprofessor wird sich in dem Augenblick, in dem er versehentlich in die Ausscheidungen eines großen Vierbeiners gerät, dieses Wortes bedienen. Ganz sicher!
Er könnte natürlich auch ganz gewählt „Exkremente!“ ausrufen. Nur diesem Wort fehlt das Kraftvolle. Gewiss ist es das deftige „Sch“, das uns in solchen Momenten den Weg zum Ausdruck ebnet. Der lateinische Ausdruck für „vom Darm ausgeschiedene, nicht wiederverwertbare Nahrungsreste“ hört sich auch nicht wirklich schön an.
„Fäkalie“ wäre auch möglich – ist allerdings ebenfalls eine lateinische Variante von Kot und wenig geeignet für einen Moment, in dem die Contenance auf Rücksichtnahme pfeift.
Seltsam ist, dass es sich bei „Scheiße“ um ein Schimpfwort handelt. Was ist Negatives außer dem subjektiven Geruchsempfinden an diesem Etwas aus Wasser, Darmbakterien, abgestoßenen Epithelien (Schleimhäuten), Sekreten (Ausscheidungen) der Verdauungsdrüsen, nicht resorbierbaren (aufnehmbaren) Nahrungsbestandteilen sowie Gärungs- und Fäulnisprodukten?
Kacke ist wiederverwertbar als Dünger und für manche Lebewesen sogar ein Nährmittel mit wertvollen Stoffen. Man denke nur an Fliegen. Ein ganz natürliches Abfallprodukt und völlig öko. Verdauung sollte also öffentlich gefördert werden.
Die Franzosen haben mit ihrem „Merde“ einen ganz anderen Blickwinkel zur Scheiße. Bei ihnen wird „Merde“ auch als Glückwunsch – vergleichbar mit unserem „Toi Toi Toi“ - eingesetzt und ist damit durchaus positiv besetzt.

Aber ich schweife vom Thema ab. Was ich nur will, ist mein Häufchen machen.
Es wird viel verschissen, beschissen und geschissen auf dieser Welt. Und hier leiste ich lieber nur zu letzterem auf meine Weise einen Beitrag:
Schreiben ist für mich wie scheißen, also lebensnotwendig. Es müssen Worthülsen entleert werden, damit geschmeidig entsorgt werden kann. Die Kost darf nicht einseitig sein. Ein bisschen Wortgemüse mit der Nachbarin, ein wenig Kopfsalat aus anspruchsvoller Literatur, Zeitungsmüsli und Gedankenfluss halten die Verdauung in Ordnung. Ansonsten droht Wortverstopfung! Das kann verhängnisvoll sein, wenn die Wörter die Emotionsgedärme verstopfen und Sprachlosigkeit droht. Sprachlosigkeit lässt das Wort im Halse stecken bleiben und führt zum Erstickungssuizid durch den eigenen Wortkot. Ich fürchte, diesem sind schon viele zum Opfer gefallen.

Ich bin fertig.