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Martin Meggle

Die Verschluckung

erschienen im Rheinischen Merkur Nr. 34 am 19.08.2004

HAAGER Konvention
Wie fünfzig Stahltonnen mit unbekanntem Inhalt als deutsches Kulturgut verbunkert wurden. Protokoll eines Skandals - Unternehmen "Verschluckung"

Lagert im Schwarzwälder Bergungsschacht wirklich Kunst? Oder ist Müll in den Fässern, vielleicht sogar eine Bombe? Die Behörden schweigen.


Jetzt schnappt die "Falle" endlich zu. Es ist der Tag, an dem ein Lastwagen durch den Schwarzwald Richtung Oberried rollt. Er ist befrachtet mit 50 Edelstahlbehältern unbekannten Inhalts. Die Edelstahlbehälter sind unterwegs zum Stollen eines stillgelegten Silberbergwerks, zum "ZBO", wie es im Behördenjargon heißt – dem Zentralen Bergungsort der Bundesrepublik, wo seit Jahrzehnten kulturelle Schätze in Form von Mikrofilmen gelagert werden, um sie vor Krieg und Naturkatastrophen zu schützen.
Vor Ort steht das Tor des Stollens bereits sperrangelweit offen. Dutzende Schaulustige, Neugierige aus der Oberrieder Umgebung, warten neben den Veranstaltern, Künstlern, Beamten und Fachleuten gespannt auf die Ankunft des geheimnisumwitterten Transports. Im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten von 50 Jahren Haager Konvention hat unter anderem das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das für den Stollen und für den Schutz
deutschen Kulturguts zuständig ist, den Transport auf seiner Website als großes Ereignis feierlich angekündigt (www.zivilschutz-online.de).
Auch Einheimische kommen zur Kunstaktion und sind ganz baff. Sie erfahren bei der Gelegenheit zum ersten Mal, dass sich hier ganz in ihrer Nähe in den Wäldern bei Oberried der Eingang eines Stollens befindet – das größte Mikrofilmarchiv Europas. Die Goldene Bulle lagert hier 400 Meter tief in der Erde, die Krönungsurkunde Ottos des Großen, Dokumente des Westfälischen Friedens – eben Kulturgüter und Archivalien, die laut Artikel 1 der Haager Konvention "für das kulturelle Erbe aller Völker von großer Bedeutung" sind – und eine "besondere Aussagekraft über die Geschichte und Kultur des deutschen Volkes" haben.
Als der Lkw mit den 50 Edelstahlbehältern vor dem Stollen endlich erscheint und vor dem Tor zum Stehen kommt, freut sich in der Menge ein Mann mit einer strengen, etwas intellektuell aussehenden Brille ganz besonders: Adalbert Hoesle. Er hatte die Kunstaktion mit den Edelstahlbehältern ins Rollen gebracht. Er sei sehr glücklich heute, sagt der Künstler mit seinem leicht schwäbelndem Akzent. Hoesles Kunstaktion hat den Sinn, an das Versprechen der Völker zu erinnern, das Kulturerbe der Menschheit vor Krieg und Katastrophen zu schützen. Also an jenen Vertrag, der nach zwei Weltkriegen zwingend erschien und
an den sich heute kaum noch jemand erinnert: die Haager Konvention. Um die notorische Vergesslichkeit zu bekämpfen, ließ sich Hoesle nun etwas Besonderes einfallen. 50 willkürlich von ihm ausgesuchte Gegenwartskünstler schufen je ein Werk, das dann
umgehend in einem Edelstahlfass deponiert wurde.

Für 1500 Jahre

Eigentlich eine nette Idee. Prekäres Detail der Aktion ist jedoch: Die Werke sind nicht dazu gedacht, der Öffentlichkeit gezeigtzu werden, sondern um sie ihr strikt vorzuenthalten. Und zwar für den Zeitraum von 1500 Jahren. So will es Hoesle. So will es das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM). Staatsministerin Christina Weiss hat sogar die Schirmherrschaft für Hoesles Kunstaktion übernommen. "Rezeptionsentzug" nennt MeisterHoesle sein Konzept. Er schlägt vor, "die Möglichkeit der Nichtrezeption als eine Form der Rezeption" zu betrachten. "Das Wissen, man hätte die Kunst, sie liegt hier im Stollen für 1500 Jahre, wir könnten sie letztlich
betrachten, wenn wir wollten, ist ein höherer Genuss, als dass wir sie tatsächlich betrachten", versichert er. Hoesle will sein Werk als "subduktive Maßnahmen eines retrograden Konzepts" verstanden wissen. "Subduktion" sei "Verschluckung", der Begriff Subduktion stamme aus der Geologie, fachsimpelt Hoesle. Er bedeute die Verschluckung von Materie bei bestimmten Ereignissen in der Natur. "Und hier werden bestimmte Teile der bildenden Kunst verschluckt. Eben Kunstwerke." Der Stollen ist der einzige Ort in Deutschland, der unter dem Sonderschutz der Haager Konvention steht. Im und am ZBO herrscht Sicherheitsstufe eins. Es gilt eine militärische Bannmeile von drei Kilometern, Kameras überwachen Tag und Nacht den
bombensicheren Ort. Kein Wunder, denn der Sachwert der Mikrofilme, die in 1400 speziellen Edelstahlbehältern luftdicht hinter Drucktüren zwischen Gneisfelsen und Granit lagern, beläuft sich mittlerweile auf rund vier Milliarden Euro. Jährlich wächst der Bestand um 14 Millionen Einzelaufnahmen. Der Tag sollte eigentlich ein Fest für alle werden. Ein Fest für den deutschen Kulturgutschutz, ein Fest für die Haager Konvention, für Hoesle und seine 50 Künstler und nicht zuletzt ein Fest für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das als Projektträger mit der Durchführung der Jubiläumsveranstaltung beauftragt war und vermittels
der Kunstaktion auf die eigene Arbeit des Kulturgutschutzes aufmerksam machen wollte. Doch es sollte anders kommen.
Nur wenige Tage vor der Kunstaktion im Schwarzwald trifft die Verantwortlichen eine Nachricht wie ein Schlag: Das Innenministerium untersagt dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ab sofort jeden Kontakt mit den Medien. Der Behörde wird Stillschweigen verordnet. Eine Maßnahme, die krasser und abrupter kaum hätte ausfallen können.
Das BBK gibt spontan in einem Schreiben "politische Gründe" als Ursache an, doch will oder kann es nicht konkreter werden. Auch als Hoesle vom "Maulkorberlass" erfährt, kann er sich keinen Reim darauf machen. Wahrscheinlich, sagt er, habe er die "politische Dimension" seiner Kunstaktion unterschätzt.
Die am Stollen anwesenden Mitarbeiter des BBK verstehen die Welt nicht mehr. Rudolf Atzbach, BBK-Vizepräsident, und Roland Stachowiak, verantwortlich für den Kulturgutschutz, stehen vor dem Stollen herum wie bestellt und nicht abgeholt. Sie würden gern sprechen, dürfen aber nicht. Immerhin ist es ihr behördlicher Auftrag, die Haager Konvention in der Öffentlichkeit
zu verbreiten. Und dass sie nun ausgerechnet beim 50-jährigen Jubiläum vom Innenministerium daran gehindert werden – wie ist das nur zu erklären?
Nur Ralf Tillenburg, im BBK zuständig für "internationale Angelegenheiten" und für zwei weitere Bereiche, ist eifrig bei der Arbeit. Er nimmt mit seiner Kamera Journalisten aus der Ferne bei der Arbeit ins Visier, um festzuhalten, welcher Medienmensch sich hier mit welcher Person gerade unterhält. Die Fotos seien für "interne Zwecke", sagt Tillenburg. Er handle auf Weisung von oben.

Die Ministerin kneift

Die anschließende Pressekonferenz gerät zur Groteske. Rosa Schmitt-Neubauer, die Referatsleiterin der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM), sitzt als Stellvertreterin der Staatsministerin in der Mitte. Vor ihr steht auf dem Tisch ein improvisiertes Schild aus Papier, auf das ihr Name auf die Schnelle hingekritzelt wurde. Ein Zeichen der Überstürzung und dafür, dass hier eigentlich jemand anders hätte Platz und Stellung nehmen sollen. Sie ist kurz angebunden und wirkt nervös: "Haben die Kolleginnen und Kollegen von der Presse noch Fragen? Sonst würden wir vielleicht einfach beginnen."
Und man beginnt sofort. Die verschlossenen Edelstahlbehälter werden abgeladen, und viele Fragen bleiben offen: Was ist da wohl drin in diesen funkelnden Tonnen? Wie ist es zu erklären, dass durch den Akt der Einlagerung die unbekannten Kunstwerke offiziell mit dem Segen der Bundesbehörden "per Definition der Haager Konvention zum deutschen Kulturgut erklärt
und unter Sonderschutz der Unesco gestellt" werden? Sollte die Bestimmung von deutschem Kulturgut etwa Privat- und Vertrauenssache sein? Wie hat es dazu kommen können, dass hier Objekte, die niemand zu sehen bekommt außer den Künstlern selbst, zum "deutschen Kulturgut" erklärt werden? Und warum nur sind so viele Künstler der Aktion gänzlich unbekannt –
abgesehen von den Aushängeschildern wie Schlingensief, Immendorf und noch ein paar anderen?
Hoesle schaut stolz auf die verplombten Edelstahlbehälter vor dem Stolleneingang. Er kann es kaum erwarten, dass sie an den Ort ihrer Bestimmung gelangen und als deutsches Kulturgut verewigt werden. Im hintersten Winkel des Stollens werden sie buchstäblich am Ende des deutschen Kulturguts eingelagert und vom Stollen "verschluckt". (Website der Kunstaktion:
www.verschluckung.de)
Den Anwesenden und Gästen werden vom Wachpersonal weiße Schutzhelme in die Hand gedrückt. Dann geht es ab in den Stollen. Alle folgen Adalbert Hoesle, der voranmarschiert wie ein leibhaftiger Avantgardist und eigenhändig die ersten Edelstahlbehälter auf einer Palette in den klammen, kalten Schacht karrt. In den zuständigen Behörden dürfte man sich noch eine
ganze Weile an diese Karawane erinnern. Einer der Künstler, die an der Aktion teilnehmen, witzelte schon Wochen vor der Aktion: "Wir hätten da ohne weiteres alles Mögliche in die Edelstahlbehälter einlagern können. Sogar eine Bombe." Das war ein schlechter Witz.
Aber dennoch muss man sich fragen: Können die verantwortlichen Behörden ausschließen, dass je eine Gefahr von den Edelstahlbehältern für den Stollen und für das deutsche Kulturgut ausgeht? "Ich verlasse mich da auch auf die Leute, die – äh – bei der Einlagerung der Objekte in den Behälter dabei waren", sagt Schmitt-Neubauer sichtlich verunsichert. Auf diese Frage war
sie nicht gefasst. Unter diesem Aspekt habe sie das bisher noch gar nicht betrachtet.
Unterdessen ist das Innenministerium nach wie vor nicht bereit, das verordnete Schweigen der Behörde zu kommentieren, geschweige denn über die Umstände und Konsequenzen der Verschluckungsaktion Auskunft zu geben. Das BMI legt nahe, alle
Fragen an das zuständige BKM zu richten, also an die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, beziehungsweise die Staatsministerin Christina Weiss. Die Kunstaktion sei "dort" konzipiert worden, schreibt das BMI trocken als Antwort auf eine Interviewanfrage. Aber auch die Referatsleiterin des BKM weicht aus und gibt keine Erklärung.
Genau betrachtet zeichneten sich jedoch schon vor zwei Monaten die ersten dunklen Wolken am Horizont ab, als es am 14. Mai in der Bonner Bundeskunsthalle – just am Jahrestag der Unterzeichnung der Haager Konvention – zur ersten öffentlichen Präsentation der Edelstahlbehälter kam. Beamte des BBK konnten sich neben den Künstlern und Verantwortlichen der Aktion nicht erklären, warum sich vom Innenministerium – trotz ausdrücklicher Einladung – kein Verantwortlicher blicken ließ. Wollte
das Innenministerium etwa mit der Kunstaktion öffentlich nicht in Zusammenhang gebracht werden? Die Maßnahme legt die Vermutung nahe, dass hier in letzter Sekunde Schadensbegrenzung betrieben werden sollte.
Nur die 50 Künstler wissen also, was sie der Nachwelt hinterlassen und wie sie sich in der Schatzkammer des deutschen Kulturguts verewigt haben. Die verantwortlichen Behörden wissen es nicht. Hoesle sagt unterdessen voraus, dass seine Aktion zu einer "kulturellen Entspannung" führen wird. Eine Ansicht, die man im Innenministerium wohl kaum teilt. Außerdem prophezeit
er: "Durch den visuellen Entzug des Inhalts der 50 Behälter kann die Welle (sic!) erzeugt werden, sich mehr und mehr ausbreiten, bevor sie wieder kollabieren wird."
Ist mit "Welle" etwa Mode gemeint? Die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit? Wie auch immer. Die Staatsministerin Christina Weiss ließ sich jedenfalls bereitwillig von der "Welle" mitnehmen; im Vorwort des Katalogs der Aktion weissagt sie ganz im Sinne der Verschluckungsaktion: "Durch den visuellen Rezeptionsentzug – kein Publikum, keine Kritiker – bekommen die Werke eine hohe immaterielle Präsenz." Das klingt so, als ob die Absenz einer kritischen Öffentlichkeit automatisch den Wert von Kunstobjekten steigere. Im Katalog liefern die Künstler teils kryptische, teils alberne Beschreibungen ihrer eingelagerten Objekte. Zum Beispiel Karin Sanders Edelstahlbehälter enthält "Adi Hoesle 1• :• 3". Was immer das Verhältnis bedeuten mag.

Tückische Falle

Hoesle erinnert sich jedenfalls noch genau, wie alles vor drei Jahren seinen Anfang nahm: "Der Herr Stachowiak, der hier verantwortlich ist für diesen Ort, hat mir von den Jubiläumsfeierlichkeiten zur Haager Konvention erzählt. Und dann sagte ich, dass ich mir vorstellen könnte, einen künstlerischen Beitrag zu machen als Geste der Kultur, um die es hier geht, und so ist das entstanden." Und die Geste der Kultur sollte in 50 hermetisch verschlossenen Edelstahlbehältern ihren unendlich rätselhaften Ausdruck finden. Stilecht sollten sie sein. Eben wie deutsches Kulturgut waren sie der Machart der Tonnen, in denen die Mikrofilme lagern, nachempfunden – ganz nach dem Geschmack der zeit- und trendgemäßen Virtualität. Es darf also nach allen Regeln der Kunst spekuliert, sie aber nicht konkret eingesehen und inhaltlich überprüft werden. So lauten die Spielregeln. Kann es nun sein, dass hier Künstler der Nachwelt nicht beeindruckende Kunst, sondern Abfall hinterlassen und Müll als deutsches Kulturgut deklarieren? "Das ist überhaupt nicht auszuschließen!", ruft Hoesle geradezu erfreut aus – so als ob er mit dieser Frage schon längst gerechnet hatte. Mit einem hintergründigen Lächeln fügt er an: "Das ist ja die Crux, der Lapsus, die Falle, die gebaut wurde für dieses Projekt."
Dietmar Glöckner, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kulturgutschutz, beklagt unterdessen eklatante Defizite im deutschen Kulturgutschutz, die mangelnde Koordination zwischen den Behörden und eine weit verbreitete Desorganisation im Sektor. Die Strukturen seien veraltet, zum Teil auf den Kalten Krieg gemünzt und an die neue geopolitische Lage noch nicht angepasst. Die identitätsstiftende Bedeutung, die Trost und Halt spendende Wirkung von Kulturgütern werde gerade in Zeiten der zunehmenden Verunsicherung und Not immer größer, so Glöckner. Wer aber will sich mit Edelstahlbehältern identifizieren, deren Inhalt keiner kennt? Und worin besteht der Sinn dieser "subduktiven Maßnahmen", die vermutlich weniger mit den Grundsätzen der Haager Konvention zu tun haben als mit quasiwissenschaftlichen Beschwörungsformeln und medienwirksamer Effekthascherei? Die Bundesbehörde für Kultur und Medien versucht gleichwohl eine positive Bilanz: Mit der Verschluckung sei "großes Medieninteresse" geweckt worden. "Und damit ist das Ziel erreicht", sagt Schmitt-Neubauer, bevor sie dem Stollen den Rücken kehrt. Wer weiß, wie angemessen derartige Kunstaktionen sind angesichts der realen Herausforderungen für den Schutz des kulturellen Erbes der Menschheit? Die schockierenden Bilder von der Vernichtung der Buddhas in Afghanistan, von den Museumsplünderungen im Irakkrieg, auch von den Hochwasserkatastrophen haben die Verletzbarkeit des menschlichen Kulturerbes gezeigt. Auch angesichts der wachsenden Gefahr terroristischer Anschläge gegen das menschliche Kulturerbe fordert Glöckner eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Kulturgut- und Katastrophenschutz. "Es ist keine Frage der Neuzeit, dass man glaubt, durch die Vernichtung und Zerstörung von kulturellen Werten die Seele oder das Volk insgesamt ausrotten zu können." Da wirkt die Schwarzwälder Rettungsaktion wie blanker Hohn.


Mit freundlicher Genehmigung Rheinischer Merkur


Weitere Infos unter: www.verschluckung.de

© Martin Meggle
Autor / Journalist
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