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Wolfgang Sréter

Das zweite Leben


Der Lastwagen biegt in die Tankstelle ein und bleibt an der Überdachung hängen. Klirrend fallen die Aluminiumlatten auf den Asphalt. Ein junger Mann kommt aus dem Kassenhäuschen. Er trägt eine ölverschmierte Arbeitsjacke, denn er verdient sein Geld weniger mit dem Verkaufen von Benzin als mit dem Reparieren alter Autos. Er ist von Natur aus freundlich, aber jetzt ist er wütend. Jede Woche holt ihm einer sein Dach herunter, weil er es eilig hat, weil er ein Trottel ist, oder weiß der Teufel warum.

"Heh, was soll das?"

Der Lastwagenfahrer kümmert sich nicht um die Begrüßung, sondern füllt Diesel ein. Der Tankwart kratzt sich am Ohr. Die Brille rutscht zur Nasenspitze. Er dreht sich um, als könnte von dort, wo er die Reifen gelagert hat, Hilfe kommen. Er würde jetzt am liebsten zuhause auf seinem Balkon in der Sonne sitzen. Durch die offene Türe sieht er leere Flaschen auf der Gummimatte des Führerhauses. Er prägt sich das Nummernschild ein und beschließt, alles Weitere der Polizei zu überlassen. Wenn es Ärger geben sollte, ist er hinter der Kasse gut geschützt. Dorthin zieht er sich zurück.

Der Lastwagenfahrer stolpert auf dem Weg zur Kasse und flucht. Betrunkene, denkt der Tankwart, sind unangenehm, aber nicht gefährlich. Deshalb verlangt er Ausweis, Papiere und Führerschein. Die Worte tanzen auf seinem Trommelfell. Er hört seinen eigenen Satz wie von einem Tonband. Es müssten weitere Sätze hinzukommen. Sie müssten sein wie Schraubenschlüssel, niedersausend, wenn es nötig wäre. Ein Boxer würde die Faust vors Kinn nehmen, aber der junge Mann benutzt seine Faust nur, um ein trockenes Husten zuzudecken. Er hat keinen Blick für die unsichere Hand, die in einer Windjacke nach der Brieftasche tastet. Zum ersten Mal in seinem Leben glaubt er nicht, was er sieht: Die Hand lässt ein Messer springen! Sie fährt damit über die Theke und sticht zweimal in den ölverschmierten Stoff. Der Verletzte hinter der Kasse ist eingeklemmt zwischen Zigaretten, Coladosen und Landkarten. Er atmet, aber er bekommt keine Luft mehr. Er springt über das Regal mit den Süßigkeiten, an dem die Schulkinder immer mit gierigen Augen hängen und rennt auf die Straße hinaus. Seine linke Hand presst die Stelle unter dem Herzen, wo es am meisten weh tut.

Der Betrunkene fällt über die nackten Frauen im Zeitschriftenständer, rappelt sich auf und nimmt noch zwei Dosen Bier mit in den Lkw. Beim Starten reißt er den Rest des Daches ab.

Der Verletzte versucht auf der Straße ein Auto anzuhalten. Zwei Fahrer bremsen, geben dann aber umso mehr Gas. Trotzdem winkt er, als müsste ein alter Freund aufmerksam gemacht werden. Hinter ihm rauscht der Lastwagen vorbei. Bis zur nächsten Kreuzung verliert er sämtliche Latten, die in seiner Plane verkeilt waren. Ein Junge hilft dem Verletzten auf die Beine. Der Verletzte ist erstaunt, denn der Helfer sieht mit seinem Buckel aus wie das Rumpelstilzchen. Von der linken Hand tropft Blut auf die Brille am Straßenrand.

Im Kassenhäuschen sagt der Tankwart drei Nummern. Der Junge sucht das Telefon und wählt. Der Verletzte möchte sagen: mir ist schlecht, aber er sagt, bitte mach´ die Kasse zu. Er starrt auf den Schulranzen seines Helfers, als könnte er sich daran festhalten. Als die Sanitäter kommen, fällt ihnen ein Mensch in die Arme, der mehr tot ist als lebendig. Der Schüler stürzt ins Freie und erbricht auf verbogenes Aluminium. Stunden später wird er in sein Tagebuch schreiben: "Es gibt ein Leben nach der Schule!"

Nach ein paar Wochen klingelt bei dem Tankwart das Telefon. Er erhebt sich mühsam vom Küchentisch und legt den Löffel neben seinen Teller. Am Apparat ist der tschechische Student, den er nach dem Überfall einstellen musste. Er meldet, dass die Tankstelle ordnungsgemäß abgeschlossen ist und die Tageseinnahmen im Nachttresor hinterlegt sind. Die beiden Nähte unterhalb des Herzens verursachen einen ziehenden Schmerz. Immer wieder schießt während der Kriminalfilme, die sich der Tankwart zur Entspannung selbst verordnet hat, das blanke Messer auf ihn zu, die Luft bleibt weg. Er schiebt die Brille in die verklebten Haare und fährt mit der Hand über die Augen. Als er sich umdreht, bemerkt er das umgefallene Bierglas und den Fleck auf dem Boden.

Trotzdem muss er lachen, denn soviel Glück wie er haben nur wenige.


Pichelsteiner

Da der Tankwart am Abend nicht viel Zeit zum Kochen hat, aber trotzdem eine kräftige, wohlschmeckende Mahlzeit braucht, macht er sich eine große Portion dieses alten von meiner Großmutter sehr geschätzten Eintopfs. Dazu braucht er:

500 g Rind- und Schweinefleisch
Fett
1- 2 Zwiebeln, Salz, Pfeffer und etwas Paprika
1 kg Gemüse:
Sellerie
Petersilienwurzeln
Gelbe Rüben
Lauch
Kartoffeln

¾ l Brühe

Am einfachsten ist es, das Fleisch von Metzger in Würfel schneiden zu lassen. Er hat die scharfen Messer, die sich sonst nur noch für Morde eignen.

Das Gemüse vorbereiten in Scheiben oder Würfel schneiden. In einem gut verschließbaren Topf das Fleisch, die fein geschnittenen Zwiebel anrösten, würzen und das Gemüse lagenweise einschichten. Als oberste Lage die Kartoffeln. Mit Brühe seitlich aufgießen, bei guter Hitze andünsten und bei mäßiger Hitze im geschlossenen Topf gar dünsten.

Während des Garens nicht rühren, besser schütteln. Garzeit etwa 1 Stunde. Mit Petersilie abschmecken. Wenn das Schweinefleisch sehr fett war, hat meine Großmutter eine gehörige Portion Kümmel mit in den Topf gegeben.