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Sibylle Schäfer

Naturereignis


"Das macht zusammen sechs Euro". Die Frau schiebt mir die Eintrittskarten über die Theke entgegen. Das Wasser vor und die Kreissäge hinter uns vermischen sich zu einem summenden Rauschen. Hier wird gerade eine neue Holzhütte gebaut. Massivholz. Holzschnitzerei und Brauchtum. Als wir den Eingang verlassen, wird die Kreissäge endgültig vom Wasserbrausen verschluckt.
Dicke Tropfen fallen auf mich herab und breiten sich auf meinen Haaren und meiner Jacke aus. An den Furchen des grauen Felsgesteins entlang, finden sie ihren Weg zurück in den Wildbach. Ich zerre meine Kapuze nach oben. Der Weg, auf dem ich stehe, ist vielleicht einen Meter breit. Links von mir steigt, wie eine Mauer, mächtiger Fels in die Höhe. Gewaltig, undurchdringlich und unverrückbar. Der Wildbach bedrängt mich. Laut zischend, rauschend, rastlos. Eingeklemmt zwischen Höhe und Tiefe. Wieso bin ich überhaupt in diese Klamm mitgegangen? Im Bilderbuch meines Sohnes steht eine liebevoll malerische Klamm aufgezeichnet und seither wünschte er sich nichts sehnlicher, als nun in den Bergen in eine Wildwasserschlucht zu gehen. Der Boden ist feucht und glitschig. Ich muss aufpassen, dass ich auf den Klischees nicht ausrutsche. Trotzdem komme ich mir winzig vor gegenüber den Naturgewalten. Das Leben scheint an zwei waagrecht gespannten Drahtseilen zu hängen. Jetzt umdrehen? Alleine? Ich blicke mich um und irgendwie ist der Eingang zur Klamm aus meinem Blickfeld verschwunden. Meine Füße müssen mich schon ein Stück weit gebracht haben.
Zusammengekauert, damit mein Kopf nicht an der nach vorne geneigten Felswand anstößt, schleiche ich am Felsen entlang. "Hier leben Forellen", höre ich meinen Sohn noch freudig juchzen, bevor er, seinen Onkel fest an der Hand, eiligen Schrittes im dunklen Felsmassiv entschwindet. Forellen müssen verrückt sein. Um mich herum sehe ich nichts Vertrautes mehr, nur Fels und Wasser. Ich fühle mich im rauschenden Tosen eingeschlossen. Hatte ich nicht etwas von zehn Meter Tiefe gelesen? Gefahrlos begehbar stand im Prospekt. Eine kleine Einbuchtung. Ich spüre, wie meine Hände so feucht werden wie der Fels. Ich blicke vorsichtig in die Tiefe. Der breite, rauschende Wasserstrom scheint sich immer wieder zwischen riesigen Felsbrocken in einzelne Bänder aufzuteilen, um sich anschließend ineinander zu verschlingen. Lieber nach vorne auf den Weg blicken. Die Felsbrocken sehen aus, als hätten sie plötzlich Nasen, zerfurchte Wangen, verkrüppelte Augen und grinsen mich an. Im Bilderbuch haben sie noch mild und freundlich einladend gelächelt. Bilderbuchwirklichkeit gegen Wildromantikgrusel. Wo bin ich hier, in der Wolfsschlucht?
Der Weg führt nun durch einen in den Felsen gesprengten Gang. Vor meinen Augen ist es schwarz. Verzweifelt versuche ich in der Dunkelheit einen Weg zu erkennen. Zwei, drei Schritte Aussichtslosigkeit. Andererseits, man kann hier drin wenigstens nicht abstürzen. Dann endlich, da hinten schimmert wieder etwas Licht durch das Ende der kleinen Höhle herein. Vorsichtig setze ich Schritt vor Schritt auf die sich erhebenden Trittstufen. Mein Herz bummert. Rauscht nur der Bach oder rauscht es auch in meinen Ohren? Mein Gehirn sucht nach festen Größen, nach Verlässlichem: wie lange war die Wildwasserschlucht? Fünfhundert Meter oder sechshundert? Genau genommen kann ich mich gar nicht mehr richtig daran erinnern, wie lange man braucht, um fünfhundert Meter zu gehen! Endlich raus aus der Dunkelheit. Helle Blitze flammen auf. Wanderer hängen mit ihrem Oberkörper und ihren Digitalkameras über den Drahtseilen. Sie drehen sich zu mir um: es sind Japanische Feriengäste. Zwischen den beiden waagrechten Begrenzungsseilen ist vielleicht ein halber Meter Platz. Ob da wohl trotzdem schon jemand hinuntergefallen ist? Die Enge der Klamm scheint von unten nach oben durch mich hindurchzukriechen. Ich sehe mein Gesicht im weißen Strudel der Wellen verschwinden. Was war das? War irgendwo in der Ferne gerade ein Knall zu hören? Meine Hände und meine Beine fühlen sich steif an. Einfach nur auf den Weg schauen. Nur auf den Weg. "Grüß Gott", eine Schulklasse kommt scheinbar wie aus dem Nichts entgegen. Gerne lasse ich sie vorbei. Sichert es doch einen Platz ganz eng an die Felswand geschmiegt. Sie scherzen und gröhlen. Ein Mädchen lässt einen Kaugummi in seinem Gesicht platzen: Orangene Mundwinkel lachen mich an. Ich verstehe ein paar Wortfetzen: "He Agathe, krieg’ ich auch einen Kaugummi?"
Bläulich-grünes Licht spiegelt sich auf den Felswänden. Da hinten in der Ferne scheint sich plötzlich wieder mehr Helligkeit zwischen die Felsmassive zu schieben. Schemenhaft erkenne ich bekannte Gesichter. Mein Sohn und meine Verwandten winken mir fröhlich zu. Zwischen uns noch eine leicht ansteigende schwarze Höhle. Ich spüre das kalte Drahtseil an meinen Händen. Dunkelheit und dann blendende Helligkeit. Verwandlung. Endlich ein Bilderbuchbild! Helle, grüne Pflanzen, durchbrochen von Sonnenstrahlen, grenzen die Szenerie ein. Der Wildbach schlummert vor sich hin. Alle strahlen mich an. Das Glück und die Bewunderung über das Naturereignis ist in ihren Augen eingeprägt. Rotbackig beißt mein Sohn in seine Marschverpflegung: ein Fleischpfanzerl. Sein Lachen verrät mir, er ist gerade das glücklichste Kind der Welt. Und ich die glücklichste Mutter.



Fleischpflanzerl mit Kartoffelsalat:
Fleischpflanzerl:
500 g Hackfleisch
1 Brötchen
1 Ei
1 kleine - mittelgroße Zwiebel, gewürfelt
1 Teelöffel Salz
1 Teelöffel Zucker
1 Teelöffel Dijon-Senf
1 Esslöffel Japanische Sojasauce
1 gute Prise gemahlener weißer Pfeffer
1 Prise gemahlene Muskatnuss

Brötchen in reichlich kaltem Wasser einweichen, anschließend Wasser ausdrücken.
Alle Zutaten vermengen und den Teig kneten.
Zum Durchziehen den Teig ca. eine viertel Stunde im Kühlschrank ruhen lassen.
Flache Fleischpflanzerl formen und in der Pfanne mit Sonnenblumenöl goldbraun braten.

Kartoffelsalat:
2 kg festkochende Salatkartoffeln
Viertel Liter Fleischbrühe
1 kleine Zwiebel
Prise Salz
Pfeffer
Prise Zucker
Halber Teelöffel Senf
2-3 Esslöffel weißer Balsamessig
Sonnenblumenöl

Kartoffeln kochen, abschrecken und im warmen Zustand pellen. Kartoffeln auskühlen lassen. Anschließend in kleine, dünne Scheibchen schneiden.
Brühe vorbereiten: Fleischbrühe mit Senf, Zucker, Salz und Pfeffer würzen und erhitzen. Während des Erhitzens Zwiebel fein würfeln und zu den geschnittenen Kartoffelscheiben zugeben. Darüber nun die heiße Brühe geben, so dass die Zwiebelwürfelchen kurz erhitzt werden. So lange Brühe unterheben, bis Kartoffeln keine Brühe mehr aufnehmen können. Ca. 10 Minuten ziehen lassen. 2-3 Esslöffel weißen Balsamessig und Sonnenblumenöl untermischen.