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Ursula Tallafuß

E.T. nach Hause telefonieren...


Es ist bewölkt.
Gleich hinter einer Filiale von McDonalds befindet sich ein kleiner Friedhof, dessen Mauer nur wenig vom Lärm der viel befahrenen Straße draußen abhält.
Zwischen dem Container für Grünschnitt und dem Automaten für Grabkerzen befindet sich ein frisches Grab. Auf dem provisorischen Holzkreuz steht: Maria Felber 1928 – 2004.
Die gelben Rosen vom Kranz der Familie sind noch frisch, aber ihr kleines Licht kommt nicht an gegen das Neon der Straße und dem längst vergangenen Strahlen einzelner Sterne.
Ein junges Mädchen, die schwarze Kapuze tief in die Stirne geschoben, steht vor dem Grab. Sie hat einen Plastiksack in der Hand und weint still.

"Oma, sie haben deine Wohnung verkauft. Mit den Möbeln. Sogar meinen grünen Sessel.
Wo soll ich jetzt bloß sitzen.
Ich habe dir etwas mitgebracht, schau mal, zweihundert Teelichter. Die zünde ich alle an, mit Streichhölzern, wie es sich gehört. Dann komm ich.
Heute ist Montag Oma. Ich hasse Montag.
1……………..10
Zehn brennen schon. Jetzt ist es schon viel heller. Mama meint, alte Leute sterben eben, ich soll mich nicht so anstellen. Mama hat kein Herz. Hast du selber mal gesagt!
11……………..21
Ich habe einen Fünfer in Mathe. Mir ist das so was von egal, aber der Lehrer meint, das Leben geht weiter. Meines nicht. Meines steht still.
Ich habe auch einen Fünfer in Englisch. Die Kerner hat gesagt, das kommt davon, wenn man immer nur Einser hat und glaubt, man braucht nichts mehr zu tun. Die weiß nicht, dass du tot bist. Steht nicht im Lehrplan.
22………………………….30
Gestern hab ich außerdem wieder mitturnen müssen. Ich bin die einzige, die immer noch keinen Felgeumschwung kann. Manche lernen`s eben nie.
30……………………..41
Ich bin unbegabt in allem…In allem was ich hasse. Kommt auf dasselbe raus.
42…………..50
Max geht jetzt mit Michi. Für jeden gibt es jemanden. Nur für mich nicht. Du hast immer gesagt, dass ich hübsch bin.
51…………………62
Papa meint, in der Pubertät haben alle eine große Nase. Außerdem ist er froh, dass ich keinen Freund habe. Er arbeitet ständig. Bald sitzt er im Vorstand. Ich glaube er hat mich heuer noch nie umarmt. Auf sein Geburtstagsbussi werde ich dieses Jahr verzichten müssen.
62…………………………..73
Mama hat mir deine Lieblingstasse gegeben. Als Erinnerung. Sie ist mir hinuntergefallen. Hier, schau, nur das kleine Stückchen wo "Oma" steht, ist noch ganz.
73…………………………………..84
Immer habe ich Angst. Dann mach ich alles falsch.
Es ist als, als,…als ob jemand ein Heft aufschlägt, er nimmt den Rotstift, sieht mich an und alles ist verloren.
84…………………….93
Wer nicht lernt wird entfernt, wer nicht lernt, wird entfernt, die nicht lernt, entfernt sich am besten selber.
93……………….102
Gestern habe ich mir selber einen Griesschmarren gekocht. Mit Zimt, nach deinem Rezept.
Er hat aber ganz anders geschmeckt, obwohl ich mir viel Zeit gelassen habe, wie du gesagt hast. Nur die Liebe, die hinein gehört, die konnte ich nicht finden. Bei mir ist sie nicht.
103……………115
Oma, wieso mag mich niemand? Es liegt bestimmt an mir. Ich bin nicht lustig und getraue mich nie was zu sagen. Dabei fällt mir manchmal sogar was ein. Nur Mut, hast du immer gesagt, nur Mut! Die Mama sagt, von ihr habe ich das nicht. Sie war beliebt.
116………….123
Sie kommt mir immer nur zu Nahe, nie kommt sie zu mir selbst. Das kann sie perfekt.
Vielleicht gibt’s mich gar nicht.
124……………130
Alles wird gut werden. Bestimmt. Bestimmt. Bestimmt. Bestimmt. Bestimmt. Pssssst, ganz ruhig. Ich mach das schon.
131……………..149
Letzte Woche habe ich einen Spiegel geklaut und ins Vorzimmer gehängt. War ganz leicht. Bin einfach gegangen. Der Papa ist mir dahinter gekommen. Er hat nur gemeint, ich müsste meine Grenzen selber finden und gelacht.
150……………..162
Papa, bald siehst du wie weit ich laufen kann!
163………………………..170
Oma, kommst du mich eigentlich abholen?
171…………………..180
Nur ein kleiner Schritt, keiner tut ihn mit, musst allein hinüber gehen und vor Gott dem Richter stehen. Wenns hart auf hart kommt, stellst du dich vor mich, gell Omi!
181………………..190
Hier, ich habe das Fleischmesser von der Mama mit. Stainless steel. Ein Stich ins Herz, dann ist es endlich vorbei und mir wird wieder warm. Unendlich warm.
191……………………….199
Ich muss so weinen. Könntest du mir nicht ein Zeichen geben? Ein Zeichen und ich bleibe. Kein Zeichen und ich komme.
200
Oma? Ich zähl jetzt bis drei. Es ist mein ernst. Tief durchatmen. Ich gehöre nicht hierher. Nur Mut! Eins, …"

Draußen auf der Straße fährt Herr K. in die Nachtschicht. Er ist müde und übel gelaunt. Erst in letzter Sekunde sieht er den Schäferhund über die Straße laufen. Zum bremsen ist es zu spät, er drückt auf die Hupe. Dreimal kurz, einmal lang. Der Hund verschwindet in der Nacht.


"Zwei, drei….! Oma! Oma! Unser Klopfzeichen! Bleib bei mir ja! Für immer!
Oh mein Gott! Oh mein Gott! Oh mein Gott!"

Das Mädchen lässt das Messer fallen und wirft sich schluchzend auf das Grab.


In Deutschland ist Suizid bei Jugendlichen (nach Autounfällen) die häufigste Todesursache.


Griesschmarren à la Oma

Man mache ein Grießkoch, würze es mit Liebe, Ruhe, Zeit und Zucker.
Danach kommt es in eine Pfanne und wird unter gelegentlicher Zuwendung knusprig braun gebraten. Den Abschluss bildet Zimt.