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Tina Wiegand

Hollerblüten und der Augenschmaus


"Ach, schade, dass keiner auf die Idee kommt, sich die Kostbarkeiten des Waldes zu holen!" Hatte Großma geseufzt und ihre freundlichen blauen Augen blickten betrübt unter dem dichten weißen Dutt hervor, der ihre ungebrochene Vitalität bezeugte.

Sarah lächelte, als sie sich daran erinnerte, wie die liebe alte Dame ihr von "Großmutter Holler" erzählt hatte, der Apotheke des Waldes, und dass man aus allem, was der Hollunderstrauch hervorbrachte etwas gesundheitserhaltendes machen konnte. Sie hatte, gemütlich einmummelt, auf dem bequemen Sofa gesessen und eine heiße Suppe aus Äpfeln, Thymian und Hollundergelee geschlürft, auf die ein Tee aus Linden- und Hollerblüten gefolgt war, um ihre heftige Erkältung auszuschwitzen. Der Anblick des tief verschneiten Gartens, den man durch die großen Fenster vom Sofa aus in seiner vollen Pracht genießen konnte, wurde vom sanften Feuerprasseln im bulligen Schwedenofen akustisch umrahmt und vom Duft des warmen Feuerholzes abgerundet. Im Dunstkreis ihrer Großmutter gab es Momente, die eine fast unwirklich Geborgenheit erzeugten, so, als würde man allein durch die Gegenwart der alten Dame in eine andere, heilere Welt versetzt.

Ihre Großmutter hatte der Familie den Arzt ersetzt und wenn es jemandem nicht gut ging, verordnete sie ihm eine passende Medizin aus eingekochten Nahrungsmitteln, die sie über das Jahr hinweg im Wald gesammelte hatte und Geschichten, die wundersamerweise immer gerade zu den aktuellen Problemen paßten, von denen Großma eigentlich gar nichts wissen konnte. Wenn die Geschichten beendet waren, begann jeder zu reden – egal ob Mama, Papa, Onkel Lu, Sarah oder sonst jemand aus der Familie, jeder redete mit Großma. So wußte sie alles über ihre Lieben - einen Ratschlag jedoch gab sie nie. "Auch Ratschläge sind Schläge!" pflegte sie zu sagen. Ihre ganz eigene Art Fragen zu stellen allerdings war immer dazu geneigt, eine geheimnisvolle innere Schatztruhe zu öffnen, die die wertvollsten Lösungen beinhaltete. Schon als kleines Mädchen hatte Sarah ihrem staunenden Religionslehrer erklärt, dass Jesus bestimmt nicht am Kreuz gelandet wäre, hätte er ihre Großma gekannt.

Sarahs Vater und dessen Bruder Lu hatten für ihre Familien ein großes Haus gebaut, in dem auch eine Einliegerwohnung für die alte Dame eingerichtet wurde. Den dazu gehörigen Keller hatten sie mit Unmengen von Regalen ausgestattet, in denen Großma ihre unzähligen Einmachgläser, Flaschen, Tiegel und Töpfe säuberlich beschriftet, aufbewahrte. Mit ihrer unaufdringlichen Freundlichkeit war die alte Dame der Halt für die ganze Familie gewesen, bis Sarah sie eines Tages lächelnd, aber völlig verändert in ihrem Lehnsessel vorfand. Wie eine lächelnde Wachspuppe hatte sie ausgesehen, mit frisch frisierten Haaren, in ihrem Lieblingskleid aus geblümtem Baumwollstoff. Still und starr hatte sie dort gesessen, so als wäre sie eingenickt. Aber das, was vorher aus ihren Augen herausgeschaut hatte, dieses sanfte Leuchten, das sie zu dieser einzigartigen Großma gemacht hatte, das war für immer weg gegangen. Auf eine seltsame Weise hatte die gesamte Familie damit gerechnet, dass Großma ewig leben würde. Hartnäckig hatten sie sich geweigert ihren Tod einzukalkulieren und jetzt wurde allen klar, warum Großma mit ihren beiden Söhnen, den Schwiegertöchtern und den 4 Enkeln in den letzten Wochen diese freundlichen Gespräche geführt hatte. Sie hatte gewußt, dass sie bald gehen würde. Und sie ging, ohne jemals krank gewesen zu sein – entschieden wie immer und einfach so. Sie hatte sich frisch frisiert, sich wie zu einem gemütlichen Mittagessen an ihrem riesigen Eßtisch angezogen, und dann hatte das Herz aufgehört zu schlagen. Einfach so, aber entschieden und unkompliziert, wie immer.

"Ich hoffe, dass es uns gelingt, die Tradition dieser großen Frau weiter zu tragen. Eine Tradition, die auf der lebenslangen Suche nach Güte und Wissen beruht, und auf dem Bemühen, sich immer wieder den veränderten Bedingungen anzupassen. Eine Tradition, die Familienleben zu einem Fest und einem wertvollen Geschenk gemacht hat!" Sarah wurde von einer Woge der Trauer überrollte, als sie erkannte, dass ihr gutaussehender Vater mit den Tränen kämpfte. "Ich danke diesem Leben, dass es mir gestattet hat, 62 Jahre mit einer Frau dieses Formates zu leben und sie auch noch Mutter nennen zu dürfen!" Hatte er geendet, und der größte Teil der vielen Menschen, die der Trauerfeier beiwohnten, verbargen ihre schniefenden Gesichter hinter ihren Taschentüchern. Onkel Lu, der jüngere Bruder ihres Vaters, hatte auf eine längere Rede verzichtet und schickte nur ein "danke, Mama!" an den mit Rosen übersäten Sarg, der Sarah auffallend klein erschien. Dann wurde der Sarg weg gerollt. Großma hatte verfügt, dass man ihren Sarg verbrennen und die Asche in einem dafür vorgesehenen Wald verstreuen sollte. "Es ist nicht gut soviel Tamtam um eine Leiche zu machen!" hatte sie entschieden und niemand wäre auf die Idee gekommen, ihrem Wunsch zuwider zu handeln.

Im Juni nach der Bestattung lieft Sarah mit ihrem Korb durch den Wald und sammelte Hollunderblüten. Der Sirup, den sie davon kochen wollte, sollte ihr erster Beitrag zum Gedenken an ihre Großmutter sein. Ihre Kinder liebten Hollunderblüten Limonade ebenso, wie ihre 9 Nichten und Neffen. Lächelnd erinnerte sie sich an den übermütigen Lärm der Horde und genoß dankbar die Ruhe des Moments. Arndt war mit den Kindern über das Wochenende zum Zelten gefahren und hatte ihr so eine Verschnaufpause gegönnt. Dankbar atmete sie den Duft der Blütendolden und grub ihren Blick in das satte Grün des Juniwaldes. Sie liebte die pralle Zeit des Frühsommers, in der die Welt alles tat, um die Menschen an den überfließenden Reichtum der Schöpfung zu erinnern. Trotzdem pflückte sie jeweils nur fünf Blüten von jedem Busch und bedankte sich in Gedanken mit einem "danke, Oma Holler!" Wie früher schwelgte sie in der sanften Ästhetik der großmütterlichen Rituale.

Doch plötzlich, so wie eine dunkle Wolke sich vor die Sonne schiebt, drängten sich dunkle Gedanken in ihren Frieden. Nicht weit von hier tobten brutale Kriege, in denen Menschen verfolgt und gefoltert wurden. Beunruhigt hatte die Bevölkerung politische Entwicklungen verfolgt, die nicht ausschloß, dass der Krieg über die Grenzen schwappen könnte. "Vielleicht haben wir so viel Glück einfach nicht verdient und müssen jetzt lernen, alles herzugeben!" dachte sie betrübt und die Angst stieg in ihr auf. Im gleichen Moment verfing sich ihr Fuß im Gestrüpp des Unterholzes, sie stolperte und fiel. Ihr Korb rollte den kleinen Abhang hinunter und hinterließ eine Blütenspur, wie blumenstreuende Kinder auf dem Fußboden einer Kirche. Ihr Versuch aufzustehen scheiterte kläglich an einem Blitz aus Schmerz in ihrem Knöchel. Der Schmerz ließ sie leise fluchen. Sie drehte sich auf die andere Seite, um einen erneuten Versuch mit dem anderen Bein zu wagen und stieß dabei mit zwei Beinen in Anzughosen zusammen, aus denen schwarze, glänzende Lederschuhe hervor lugten. "Haben sie sich weh getan?" drang eine tiefe Stimme durch ihren Schrecken und ihr Blick schoß nach oben, während ein weißhaariger, schlanker älterer Herr sich zu ihr herunter beugte und ihr die Hand bot. Ihre Kopfbewegung signalisierte eine unentschiedenes "Jaein!" während sie sich unbeholfen, aber tapfer mit seiner Hilfe aufrappelte. Er bewegte sich elegant den Abhang hinab, während er ihren Korb aufhob, sorgfältig die verstreuten Hollerdolden einsammelte und in den Korb zurücklegte. "Verzeihen Sie bitte, aber um Sie zu stützen, muss ich ihnen etwas nahe treten!" Entschuldigte sich seine dunkle Stimme etwas geschraubt, bevor sich sein Arm behutsam um ihre Hüften legte, ohne ihren Widerspruch abzuwarten. Sein dichtes, weißes Haar hatte irgendeine Signalwirkung in ihrem Inneren ausgelöst, die ihr erlaubte, sich vertrauensvoll an ihn zu lehnen. Dass es da noch eine klitzekleine andere Stimme gab, die fürchterlich zeterte und unverständliche, aber nachhaltige Warnungen ausstieß, beschloss sie zu ignorieren. Er war ein vollkommener Gentleman und sie ließ sich erleichtert langsam nach Hause führen.

Unterwegs stoppte er am Garten der Neumanns, über deren Gartenzaun Kaskaden duftender Rosen flossen. Kurz entschlossen pflückten seine schlanken Hände mehrere der prallen Blüten und warfen sie in den Korb. "Das gibt dem Sirup eine besondere Note!" bemerkte er kurz, bevor er seine Hand wieder um ihre Hüften legte und sie weiter führte. Sarah bemerkte, dass die freundliche Frau Neumann etwas verwundert aus ihrem Küchenfenster blickte. Sarah wagte es nicht, ihr wie sonst freundlich zuzunicken, denn in ihrer Sprache wäre es angemessen gewesen, Frau Neumann um die Blüten zu bitten, anstatt sie einfach abzureißen. Doch irgend etwas in den Gesten ihres eleganten Begleiters duldete keinen Widerspruch und der heiße Schmerz in ihrem Knöchel fesselte ihre Aufmerksamkeit so sehr, dass ihr Wunsch nach Hause zu kommen die Impulse ihrer guten Erziehung überschattete.

Am Haus angelangt führte er sie bis zur Haustüre und stellte ihren Korb dort ab. Sie bedankte sich herzlich bei ihm, während er sich formvollendet verabschiedete und sich sofort zum Gehen wandte. "Aber ich weiß ja nicht mal, wie Sie heißen!" rief Sarah, Etwas in seiner Bewegung, etwas, was sie überhaupt nicht zuordnen konnte und was auch in keiner Weise für sie formulierbar gewesen wäre , ließ ihr Blut in den Adern gefrieren, als sich mit einem völlig unberührten, kühlen Blick nach ihr umwandte. "Wir sehen uns wieder, Sarah!" Lächelte er kalt, und ließ sie einfach stehen...

Woher kannte er ihren Namen? Woher war er überhaupt gekommen? Wieso hatte er mitten im Wald plötzlich neben ihr gestanden und warum trug er polierte, schwarze Lederschuhe bei einem Spaziergang in unwegsamen Gelände?
Der Schmerz drängelte sich wieder in den Vordergrund und ließ Sarah sich der Haustüre zuwenden. Plötzlich hatte sie es eilig, ins Haus zu kommen. Nicht alle älteren Leute sind vertrauenswürdig, schalt sie sich selbst. Wie konnte sie nur mit einem wildfremden Mann mitlaufen wie ein dummes kleines Kind? Sie umwickelte ihren Fuß mit kühlen Arnika-Umschlägen und erklärte ihrem scheltenden Gewissen, dass sie unter anderen Umständen jetzt immer noch an diesem kleinen Abhang im Wald sitzen würde, weil sie vor Schmerz nicht vom Fleck gekommen wäre. Immer noch mit sich selbst im Disput humpelte sie in die Küche, reinigte ihre Blüten und übergoß sie mit frischem Wasser. Nach kurzem Zögern warf sie auch einige der duftenden Rosen hinein und sog den intensiven Duft des ästhetischen Blütenwassers ein. "Tschuldigung, Frau Neumann!" dachte sie und es schien ihr, als lächelte Frau Neumann verständnisvoll zurück. Sie würde ihr ein Fläschchen mit Sirup vorbei bringen.

Dann entschied sie, sich von ihrem schmerzenden Knöchel nicht davon abhalten zu lassen, ein Bad im Kerzenlicht zu nehmen. Sie entzündete mehrere Teelichter in ihrem geräumigen Badezimmer und ließ lauwarmes Wasser in ihre Wanne ein, dem sie ein Pfund Meersalz zusetzte. Sie hatte Lust darauf, ihrem schönen Körper ein wenig entgiftende Pflege zukommen zu lassen. Salz und Rosen passen zwar nicht wirklich zusammen, aber da noch einige Rosenblüten übrig waren, warf sie diese in die Wanne, entkleidete sich und ließ sich ins Wasser gleiten, um sofort genußvoll die Augen zu schließen. Auf den Schallwellen der klassischen Musik, die leise aus den Lautsprechern klang, schwebte sie in die tiefe Entspannung hinter den geschlossenen Augen.

Im Schlafzimmer nebenan blähte der sanfte Sommerwind die kostbaren Organzagardinen auf, während der Duft des Blütensuds langsam die ganze Wohnung durchzog und einen dezenten Männergeruch verdrängte. Polierte Lederschuhe, die unter der sanften Schwingung der Gardine hervorragten, versanken in der Dunkelheit, während kalte, blaue Augen den weichen Schleier durchdrangen. Sie waren nicht aufgeregt, diese Augen. Sie warteten einfach. Gänzlich gefühllos, so wie die Augen eines Fisches. Erst später, wenn der junge Frauenkörper sich in verzweifelter Agonie unter den dazu gehörenden Händen aufbäumte, würden sie den Anflug eines Gefühls spiegeln. Die Augen wußten, dass Sarah nackt zu schlafen pflegte, denn sie hatten dieses Zimmer schon oft durchstreift. Vom Fenster gegenüber aus hatten sie die Dunkelheit mit Hilfe eines Infrarotfernglases durchdrungen und in exakter Computermanier die Lebensdaten erfaßt. Sie speicherten die leidenschaftlichen Daten, mit diesem animalisch-ekelerregend unbeherrschten Mann namens Arndt, den sie verabscheuten; die einsamen Daten, wenn Arndt, wie so oft, nicht da war; Die literarischen Daten, in denen Sarah sich in der Welt der Buchstaben verlor; Und letztlich die, in denen sie lange Einträge in ihrem Tagebuch notierte, dessen Inhalt diese Augen bald schon kritisch erfassen wollten. Mit der Akribie eines elektronischen Scanners hatten die Augen den Namen "Sarah" mit den Daten ihrer Persönlichkeit und ihren intimsten Gepflogenheiten gefüllt. Die Augen waren immer bei ihr. Immer und überall. Und die Augen würden dabei sein, wenn Sarah endlich mit offenen Armen, erleichtert dem Jenseits entgegen segeln würde, nachdem ein unermeßlicher Todeskampf ihre Lust am Leben langsam aus dem Körper gepreßt hatte. In sorgfältiger Überwachung würden diese Augen anschließend der präzisen und behutsamen Häutung der jungen Frau beiwohnen, bevor schlanke Hände ihren Rücken filettierten. Die Haut abzuziehen, war der schwierigste Akt der Planung für die schlanken Hände an diesem Abend, denn sie zerriß nur zu gerne. Und wenn dies geschah, mußten sie bestraft werden, die Hände. Das geschah mit einem skalpellartigen Messer, dass langsam den Handrücken durchstach und die Sehen durchtrennte. Eine blutige und schmerzhafte Angelegenheit, die es zu vermeiden galt und so stellten sich die Augen darauf ein, dafür zu sorgen, dass die junge Haut durch sorgfältige und professionelle Behandlung heil blieb.
Das anschließende Festmahl wollten sie in stahlgläsernem Strahlen genießen. Sie liebten den Anblick von funkelndem Rotwein, der in großen Gläsern zum Filet in Hollunderblüten serviert werden sollte. Es war diese besondere Ästhetik, die die Sensation der hauchdünnen jungen Haut auf der alten Männerhaut erzeugte, während das zarte Fleisch mit den duftenden Blüten eine Zunge bezärtelte, der sonstige Leidenschaften völlig fremd waren.

Nebenan schrak Sarah aus einem seltsamen Traum auf. Sie hatte das Blütenwasser aufkochen wollen, aber den Zucker vergessen und dem Wasser keinerlei Zeit gegeben, das Blütenaroma anzunehmen. "Warte, Sarah, die Zeit ist noch nicht reif!" hatte ihre Großma im Hintergrund ungewohnt angespannt gerufen. "Was für ein seltsamer Tag!" murmelte Sarah vor sich hin, während sie sich das Salz mit warmem Wasser vom Körper spülte. Zwar hatte Großma ihr erklärt, wie man Träume deutete, aber diesen konnte sie nicht zu ordnen. Sie zog ihr leichtes Nachthemd über und erneuerte den Umschlag um ihren Knöchel. Doch der Verband wollte nicht richtig halten und in ihrer Müdigkeit wurde sie ungehalten. Ungeduldig schimpfte sie vor sich hin, bis ihr Großmas Hutnadeln in die Hände fielen, die sie kurzerhand in den Verband steckte. Die Spitzen der Nadeln durchdrangen den Stoff und zufrieden mit ihrem Werk, begab sie sich nach nebenan und kuschelte sich in ihr Bett.

Die Augen warteten, bis Sarahs Atem ruhig und gleichmäßig strömte. Der Körper, zu dem sie gehörten, folgte Sarahs Atemrhythmus bis ins Detail - sorgfältig und genau. Ein und aus, ein und aus, ein und aus – eine geistige Verschmelzung zweier Individuen durch den zarten Gaze des Atems fand statt. Eine geistige Symbiose aus nichts weiter als Energie und den sanften Wellen des Atems. Ein und aus, ein und aus, ein und aus. Und exakt in diesem Rhythmus setzen sich zwei polierte Lederschuhe in Bewegung. Ein und aus, ein und aus, tänzelnden sie. Das "ein und aus" wurde zum Inhalt der Gedanken, Rhythmus der Welt und Seligkeit der Zweisamkeit, die nur die Augen empfanden, während Sarah schlief. Sie schlief, eingebettet in das friedliche "ein und aus" ihres Atems, bis die Hände ihre Kehle umfaßten und langsam, dem gleichmäßigen Rhythmus folgend zudrückten und los ließen, zudrückten und losließen. Immer fester, immer drängender. Irgendwo in einer qualvollen Ewigkeit gab es einen kurzen Moment, in dem Großma neben das Bett trat, ihre Enkelin hart an der Schulter faßte und ihr direkt in die Augen sah. "Es ist noch nicht Zeit. Du hast hier noch einiges zu erledigen und ich dulde nicht, dass du dich so nach mir sehnst. Du musst und kannst mich loslassen! Denk an die Kinder!! Ich will nicht, dass du mir jetzt schon folgst! Sarah, du sollst leben!" Großmas Stimme übertönte eindringlich das schrille Alarmgeräusch der Todesangst in Sarahs Ohren. Für einen Moment fühlten ihre Hände die Hutnadeln im Verband. Mühelos hätte sie sie greifen können. Mühelos hätten die Nadeln diese Augen durchbohren können, um sie in einen milchigen Matsch zu verwandeln, doch in diesem Moment nahmen Sarahs Gedanken Kurs auf eine eigene Entscheidung. "Nein, Großma, ich bin fertig hier! Und ich bin das letzte Opfer dieses Monsters!" In der roten Hölle des Erstickungstodes hallten die Worte klar und deutlich durch die wabbernde Röte, und dann nahm Sarahs Blick einen letzten klaren und völlig angstfreien Kontakt mit den Augen auf.

Das Badezimmer stank nach Erbrochenem. Im WC, dem Waschbecken und zwischen den Rosenblüten in der Badewanne klebte der halb verdaute Mageninhalt mehrerer Polizeibeamten. Die filettierten Einzelteile der Frauenleiche waren auf dem Bett verteilt und er hatte sie gehäutet. Aber wie es aussah, hatten seine Hände gezittert, denn die Haut war an mehreren Stellen gerissen. Er hatte mit seinem Skalpell sämtliche Sehen seine linken Hand durchtrennt, und als die Beamten das Zimmer betraten, hatte er mit dem Gesicht in seinem eigenen Blut gelegen. Doch er lebte. Als die Beamten seinen Körper herum drehten, blickten sie in weit aufgerissenen, entsetzte Augen. "Sie sagte: ja ich will!" war sein letzter Satz, bevor sich die Augen noch oben drehten und das, was sie halbwegs menschlich gemacht hatte auf ewig den Körper verließ. Zurück blieb ein Ausdruck grenzenlosen Entsetzens.


Hollerblütensirup:

30 Blütendolden auf 3 Liter Wasser und 4 große Duftrosenblüten mit dem Saft und Schalen einer großen Biozitrone ca. 24 Stunden einweichen. Die Blüten abseihen und das Blütenwasser mit 1 ½ kg Zucker pro Liter kochen, bis die Flüssigkeit ganz klar wird. Danach in Flaschen mit Schraubverschluß geben und gründlich verschließen. (ca. 5-6 Liter) (Wenn man den Sirup mit nur 1 kg Zucker kocht, funktioniert das ganze zwar auch, aber der Sirup setzt leicht Schimmelpilz an, wenn die Flasche geöffnet wird.)

Ein Schuß Hollerblütensirup schmeckt gut in einer Weißweinschorle, einem Glas Sekt, über Vanilleeis oder im Winter im Hollerblüten – oder Schafgarbentee, statt Zucker. Als Limonade mit Pfefferminze und Zitronenmelisse aus dem Garten in eiskaltem Wasser servieren, und eine Prise Kaiser Natron oder Backpulver zugeben.