Jeder Achte in Deutschland ist arm – und dazu gehöre auch ich. Meine Eltern hatten nie besonders viel Geld. Als ich noch klein war, sagen sie immer, war alles einfacher, da reichte das Geld mit knapper Not, aber dann, ungefähr zu der Zeit, als auch der Euro kam, war es aus mit dem guten Leben.
Ich bekam nur noch abgetragene Klamotten, ich brauchte eine Brille, aber dafür reichte es nicht, ich begann Flaschen zu sammeln, um mir mein Taschengeld mit dem Pfand zu verdienen und dann, vor einem halben Jahr, wurde uns auch noch der Strom abgedreht, weil meine Eltern ihn nicht mehr bezahlen konnten. Damit fing das große Elend an und wir waren endgültig im untersten Teil der Gesellschaft angekommen.
Keine heiße Dusche, kein warmes Essen, kein Licht, kein Kühlschrank und das alles im Winter. Mein Vater ging daraufhin zum Stromkraftwerk, um mit denen zu reden. Der Deal war: Sie würden einen Prepaid-Zähler einbauen, mit dessen Hilfe man so viel Strom bekam, wie man im Voraus bezahlen konnte. Allerdings hatten sie den Prepaid-Zähler nicht auf Vorrat und da es schon November war, zerbrach sich mein Vater tagelang den Kopf, um eine Lösung zu finden. Ein Arbeitskollege half ihm aus und besorgte uns ein Notstromaggregat, das man normalerweise nur draußen benutzen darf. Um ihn abzubezahlen, gab es drei Wochen nur Brot und Marmelade zum Essen, aber immerhin sollten wir danach nicht mehr im Dunklen sitzen.
Ende Januar hatte meine Mama ihren vierzigsten Geburtstag. Ich lud sie in ein kleines Lokal zu einem echten Kaffee ein, der sonst einfach zu teuer ist. Als wir nach Hause kamen war es schon recht spät und ich steckte nur noch mein Handy an, um dann ins Bett zu gehen. Mitten in der Nacht muss dann der Strom ausgefallen sein und mein Vater ging in den Keller, um Benzin nachzufüllen. Nach einiger Zeit hörte ich meine Mutter leise die Treppen runtergehen. Kurze Zeit später ertönte ein Schrei, der mir das Mark in den Knochen gefrieren ließ. Im Dunklen griff ich nach meinem Handy, das mir genug Licht spendete, um im Keller nach dem Rechten zu sehen. Der gewohnte Benzingeruch stieg mir in die Nase. Ich stieß die Kellertür auf und als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich die Umrisse meiner Eltern erkennen: Sie lagen leblos auf dem Boden. Geschockt wählte ich die Notrufnummer, mir wurde schwindlig, jemand ging ans Telefon: „Sorglosstraße 23...“ konnte ich noch stammeln, bevor ich das Bewusstsein verlor.
An den Rest kann ich mich nicht mehr erinnern, aber in der Zeitung stand, dass fünfzig Leute im Einsatz waren, um uns zu retten. Meine Eltern erlitten eine schwere Kohlenmonoxidvergiftung, ich nur eine leichte, aber trotzdem durfte ich eine Woche lang im Krankenhaus bleiben, bekam gutes Essen und eine warme Dusche. Und in der Schule bin ich jetzt eine Heldin, auch wenn der Papa sagt, dass wir mit dem Geld, dass der Rettungseinsatz wahrscheinlich gekostet hat, schon längst unsere Schulden hätten bezahlen können. Na ja, eine arme Heldin halt.
© Josephine Kroetz erschienen in YAEZ März 2009
User | Diskussion |
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Gast | Geschrieben am: 06.03.2009 08:28 Aktualisiert: 06.03.2009 10:17 |
![]() Für mich ergibt sich immer wieder die Frage, wo die Armut beginnt. Es ist unbestritten, dass es in Deutschland Armut vor allem Frauen- und Kinderarmut gibt und dass der von dir beschriebene Fall dazu gehört.
Aber wo fängt sie nun wirklich an – die Armut? Beginnt sie dort, wo wir nicht mehr den neusten Fernseher haben, nicht die neueste Mode tragen können, nicht zweimal im Jahr in den Urlaub fahren können? Da ich mich sehr in der Elternarbeit der Schule engagiere, stoße ich manchmal auf sehr merkwürdige Definitionen von Armut. Es gibt Eltern, die behaupten, sie könnten die Schullandheimaufenthalte ihrer Kinder nicht bezahlen, weil sie arm sind. Gleichzeitig rauchen sie aber, haben sich erst einen Hund angeschafft und die Kinder haben die neuesten Handys. Diese Eltern kommen dann und wollen Zuschüsse. Im Gegensatz zu diesen gibt es aber Eltern, die sind arbeitslos und Harz-Empfänger, die sparen sich jeden Euro vom Mund ab, damit ihre Kinder an solchen Veranstaltungen teilnehmen können. Die hätten jedes Recht auf Zuschuss, sind aber zu stolz oder schämen sich um Hilfe zu bitten. Wenn ich das Wort Armut höre, dann bin ich in meiner Ansicht immer sehr gespalten und neige dazu, ganz genau hinzusehen. Eine Bekannte sagte neulich zu mir, es ginge ihr finanziell gar nicht gut, sie sei im letzten Jahr nicht einmal mit ihren Kindern essen gegangen. Dabei hatte sie erst ein neues Auto einen BMW-Combi gekauft, damit sie ihre Getränkekisten besser transportieren. Auf meine Frage, ob sie sonst keine Probleme hätte, reagierte sie sehr schroff. Ich musste dann zu ihr sagen: „Du bist wirklich eine arme Frau“. Allerdings meinte ich arm im Geiste. |
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lunka | Geschrieben am: 04.03.2009 12:48 Aktualisiert: 05.03.2009 10:46 |
![]() ![]() User seit: 19.07.2007 aus: Beiträge: 1222 |
![]() ich möchte die Vermögenssteuer wieder einführen,
mit den Mehreinnahmen daraus eine Finanzierung des Stroms für Bedürftige finanzieren (inklusive aller Wohlhabenden, die sich plötzlich zu Bedürftigen dadurch erklären werden ![]() @Josephine ich finde es sehr gut, dass du dieses Thema aufgreifst. @Subura früher gab es ja auch keine Handys. Überhaupt nicht. Warum soll ich die Armut also daran messen, wie es früher mal war? Außerdem, gäbe es kein Handy in der Geschichte, wäre die ganze Familie samt Tochter tod, wozu? (es gibt auch billige Aldi-Handys z.B., oder gebrauchte, manchmal bekommst du schon ein Festnetzanschluß für ca. 35€ mtl. inkl. Handyflatrate usw. Und ganz auf Telefon verzichten, in der heutigen Zeit unmöglich, wie ich finde. Guck mal, die ganzen Telefonbuden wurden von der Telekom fleißig abgebaut, wo man die privatisiert hat. Wie soll ich also telefonieren im Notfall? Telepatie beherrschen ja noch nicht so viele ![]() Also wenn Festnetz bereits gekündigt wurde, dann wenigstens Handy mit Prepaidkarte. Ich gebe recht, manche können überhaupt nicht mit Geld umgehen (siehe Bank-Manager in erster Linie), dass ist aber kein Grund, sie deswegen im Stich zu lassen (im Gegensatz zu besagten Bank-Managern, die wie ich denke, sehr wohl wissen, wie man eigene Fixkosten deckt und dazu noch kräftig abkassiert). Grad wenn das eine Familie ist, die nicht klar kommen kann. Was weiß ich, evtl. wurde bei denen ein Teil monatlich durch jemanden abkassiert, evtl. ist da jemand an einer Sucht erkrankt, warum aber sollen Kinder auch drunter leiden? Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob eine Schuldenberatung kostenlos ist und wo sie stattfindet. Eben für solche Fälle. Und über die Hintergründe des Vorfalls kann ich nur spekulieren, ich weiß einfach nicht, ob diese Familie sich schuldhaft in solch eine Situation gebracht hat und ob sie ihre Fehler erkannt hat und ob sie überhaupt das Bewustsein besitzt, eigene Fehler zu sehen. Gut, dass Mama Papa trotz Kohlenmonoxid-Vergiftung leben können (hab mal gelesen, dass derartige Vergiftung sehr schnell das Nervensystem schädigen kann), hoffentlich wird es mit der Situation da besser. |
MonikaGe | Geschrieben am: 04.03.2009 10:24 Aktualisiert: 04.03.2009 10:50 |
![]() ![]() User seit: 23.09.2008 aus: Beiträge: 74 |
![]() Ich finde das so wichtig, dass Du diesen Themenbereich in Angriff nimmst, liebe Josephine!
Schreib doch mal was zu „Hartz IV und die Auswirkungen auf Mensch UND Tier“. Ich habe da vorletztes Jahr recherchiert, nachdem mir grausame Fälle zu Ohren gekommen waren. Menschen, die am eigenen Essen sparen oder nicht zum Arzt gehen, damit das Geld für das Tierfutter reicht. Familien, die das nicht mehr schafften und das geliebte Tier ins Tierheim bringe mussten. Was für grauslige Szenarien! Das mag man sich gar nicht vorstellen. Ich habe dazu einen Artikel verfasst, der im Tierschtzkalender 2008 und in der Zeitschrift Criminals erschien. Wenn Du magst, melde Dich. Ich sende Dir den Artikel/die Recherche dann zu. Ich bin sicher, dass Dir dazu eine Geschichte einfallen wird. Nochmals danke für diesen Artikel hier. Der ist wichtig. Ja, so grausam ist das „Programm“ aus der Feder dieses kriminellen VW-Managers… Herzlich! Monika |
Blackforest | Geschrieben am: 03.03.2009 22:21 Aktualisiert: 04.03.2009 10:49 |
![]() ![]() User seit: 23.10.2005 aus: Beiträge: 1927 |
![]() Eine tolle Geschichte, die wahr sein könnte. Doch in unserer Gesellschaft finden sich Ähnlichkeiten, leider.
Wäre Dein Vater eine Bank und hätte das Geld anderer großzügig verjubelt, so würde Dich und Deine Familie wohl die Regierung unterstützen. Die Chaos-Händler machen in diesen Tagen das große Geschäft! Grüße Wolfgang End |
Subura | Geschrieben am: 03.03.2009 22:07 Aktualisiert: 04.03.2009 10:49 |
![]() ![]() User seit: 27.02.2007 aus: Niederrhein Beiträge: 7887 |
![]() Hm ... Kaffee ist heute so billig wie wohl selten zuvor, dass mit dem "echten (Bohnen-)Kaffee gabs eher nach dem Krieg.
Allerdings gilt das mit dem "billig" natürlich nur, wenn man ihn zu Hause trinkt statt im Cafe. ![]() Und dann frage ich mich, warum das Geld - wie in tausenden anderen Familien wohl auch - fürs Handy reicht, nicht aber fürs Bezahlen der Stromrechnung. Ich habe als Jugendliche übrigens auch täglich Flaschen gesammelt und schon mit 12 angefangen, Nachhilfe zu geben ... aber nicht etwa, um mein Taschengeld aufzubessern, nein, das verdiente Geld kam in ein Töpfchen und musste sich dort für größeren Anschaffungen mühsam vermehren. Anders erlaubten es meine Eltern nicht ... Klamotten wurden eh weitergereicht ... Marken gabs selbstverständlich nicht ... und auch wenn das für heutige Jugendliche kaum vorstellbar erscheinen mag, es ging auch ohne hervorragend. ![]() Und noch heute sammle ich leere Pfandflaschen am Wegesrand ein und nehme sie mit, wenns irgendwie geht, denn erstens mag ich die Umweltverschandelung nicht und zweitens ist es kein Problem, sie beim nächsten Einkauf mit abzugeben. Und auch später hatte ich oft mit Geldsorgen zu kämpfen, allerdings waren die Prioritäten bei mir immer klar geregelt, erst wurden Miete und Stadtwerke bezahlt ... dann kam der Rest, und wenns nicht langte, schränkte ich mich halt noch mehr ein. Und diese Prioritäten, denke ich, sind heutzutage bei noch mehr Menschen als früher anders verteilt ... möglicherweise, weil wir mit verführerischer Werbung nur so zugedröhnt werden - als Erstes auf der Ausgabenliste haben nun mal die lebensnotwendigen Fixkosten zu stehen ... dann erst darf der Rest kommen, unter Umständen natürlich auch ein Handy, wenns dafür noch langt. Und Schulden anzusammeln, auch wenns einem noch so leicht gemacht wird, war und ist bis heute für mich tabu! ... was aber natürlich nichts daran ändert, dass heutzutage immer mehr Menschen unter jämmerlichen Verhältnissen leben müssen, während unser aller Steuerelder mit vollen Händen rausgeschmissen werden! ![]() |