
Josephine Kroetz - Arme Heldin
Datum 03.03.2009 21:15 | Kategorie: Texte
| Jeder Achte in Deutschland ist arm – und dazu gehöre auch ich. Meine Eltern hatten nie besonders viel Geld. Als ich noch klein war, sagen sie immer, war alles einfacher, da reichte das Geld mit knapper Not, aber dann, ungefähr zu der Zeit, als auch der Euro kam, war es aus mit dem guten Leben. Ich bekam nur noch abgetragene Klamotten, ich brauchte eine Brille, aber dafür reichte es nicht, ich begann Flaschen zu sammeln, um mir mein Taschengeld mit dem Pfand zu verdienen und dann, vor einem halben Jahr, wurde uns auch noch der Strom abgedreht, weil meine Eltern ihn nicht mehr bezahlen konnten. Damit fing das große Elend an und wir waren endgültig im untersten Teil der Gesellschaft angekommen.
Keine heiße Dusche, kein warmes Essen, kein Licht, kein Kühlschrank und das alles im Winter. Mein Vater ging daraufhin zum Stromkraftwerk, um mit denen zu reden. Der Deal war: Sie würden einen Prepaid-Zähler einbauen, mit dessen Hilfe man so viel Strom bekam, wie man im Voraus bezahlen konnte. Allerdings hatten sie den Prepaid-Zähler nicht auf Vorrat und da es schon November war, zerbrach sich mein Vater tagelang den Kopf, um eine Lösung zu finden. Ein Arbeitskollege half ihm aus und besorgte uns ein Notstromaggregat, das man normalerweise nur draußen benutzen darf. Um ihn abzubezahlen, gab es drei Wochen nur Brot und Marmelade zum Essen, aber immerhin sollten wir danach nicht mehr im Dunklen sitzen.
Ende Januar hatte meine Mama ihren vierzigsten Geburtstag. Ich lud sie in ein kleines Lokal zu einem echten Kaffee ein, der sonst einfach zu teuer ist. Als wir nach Hause kamen war es schon recht spät und ich steckte nur noch mein Handy an, um dann ins Bett zu gehen. Mitten in der Nacht muss dann der Strom ausgefallen sein und mein Vater ging in den Keller, um Benzin nachzufüllen. Nach einiger Zeit hörte ich meine Mutter leise die Treppen runtergehen. Kurze Zeit später ertönte ein Schrei, der mir das Mark in den Knochen gefrieren ließ. Im Dunklen griff ich nach meinem Handy, das mir genug Licht spendete, um im Keller nach dem Rechten zu sehen. Der gewohnte Benzingeruch stieg mir in die Nase. Ich stieß die Kellertür auf und als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich die Umrisse meiner Eltern erkennen: Sie lagen leblos auf dem Boden. Geschockt wählte ich die Notrufnummer, mir wurde schwindlig, jemand ging ans Telefon: „Sorglosstraße 23...“ konnte ich noch stammeln, bevor ich das Bewusstsein verlor.
An den Rest kann ich mich nicht mehr erinnern, aber in der Zeitung stand, dass fünfzig Leute im Einsatz waren, um uns zu retten. Meine Eltern erlitten eine schwere Kohlenmonoxidvergiftung, ich nur eine leichte, aber trotzdem durfte ich eine Woche lang im Krankenhaus bleiben, bekam gutes Essen und eine warme Dusche. Und in der Schule bin ich jetzt eine Heldin, auch wenn der Papa sagt, dass wir mit dem Geld, dass der Rettungseinsatz wahrscheinlich gekostet hat, schon längst unsere Schulden hätten bezahlen können. Na ja, eine arme Heldin halt.
© Josephine Kroetz erschienen in YAEZ März 2009
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