BUNTE: Marie Theres Kroetz Relin - Wieder bereit für Purzelbäume

Datum 03.11.2005 21:06 | Kategorie: Presse

Interview von Paul Sahner mit Marie Theres Kroetz Relin

Die meisten Dichter kennen das, besonders die Dramatiker: Wenn dir nichts mehr einfällt, greifst du von einer Flasche zur nächsten, immer gieriger schüttest du das Zeug in dich rein, tobst, schlägst um dich, der Kater danach macht dich zum Häufchen Elend, du versinkst in Depression.
Franz Xaver Kroetz, 59, einer der sprachgewaltigsten Dramatiker deutscher Sprache, schrieb darüber eine erschreckende Kurzgeschichte "Leerer Tag". Auszug: "Wenn er nicht schreiben konnte, soff er manchmal nicht, dann war er aber so depressiv, dass er wie ihr Großvater aussah. Wenn er aber mal schreiben konnte ohne zu saufen, oder was geschrieben hatte, von dem er wirklich dachte, dass es ihm gelungen war, also höchstens ein paar Tage in jedem Jahr, sah er wie ihr Mann aus: um einiges älter, aber wie ihr Mann."
Die wunderschöne Frau, die uns mit ihrem Südsee-grünen Augen direkt in die Seele guckt, heißt Marie Theres Kroetz-Relin, 39. Sie war 18 Jahre mit dem Dichterfürsten Kroetz verheiratet, der auch als "Baby Schimmerlos" in der TV-Serie "Kir Royal" überzeugte. Oben sehen wir eine glückliche Familie: Das Ehepaar Kroetz mit drei prächtigen Kindern. Da lachten sie noch.
Marie Theres betont, dass sie auch heute noch viel lacht, vielleicht sogar befreiter als früher. Sie hat die Scheidung eingereicht. Die Tochter der verstorbenen Film-Legende Maria Schell: "Mir geht's blendend und ihm auch. Er ist jetzt für zwei Wochen nach Teneriffa gedüst, um auf die Kinder aufzupassen. Er macht das gut. Lernt all das, was er früher nicht konnte. Putzen, Kochen, Bügeln, Einkaufen. Sogar seine Flugtickets kann er auf einmal ganz allein buchen."
Früher hatte er das auch gekonnt, aber er brauchte es nicht, weil seine Frau ihm alles abnahm. Und wenn er mal einen besonders kaputten Tag hatte, kroch er abends zu ihr ins Bett. Kroetz beschreibt das in seiner Story so: "Er streichelte sie ein bißchen, stöhnte, zog sie zu sich ran...denn nach einem anstrengenden Tag entspannte er sich am besten, wenn sie ihm einen..."
"Wenn ich Frauen diese Geschichte vorlese", sagt Marie Theres, "klatschen sie besonders an dieser Stelle begeistert. Sie kennen das..."
Marie Theres Relin sitzt an meinem Esstisch. Sie ist eine faszinierende Frau, katzenhaft in ihren Bewegungen, intensiv mit ihrem Blicken, jede Sekunde klar im Kopf, blitzschnell im Kontern.
Warum Scheidung? Lags an seinen Depressionen?
Wenn man selber künstlerisch begabt ist und sieht, wie sich jemand beim Schreiben quält, dann verzweifelt Alkohol in sich hineinschüttet, es aber immer schlimmer statt besser wird, dann machst du dich als Co-Abhängiger schuldig, wenn du den anderen in der Depression lässt und ihn bemitleidest, statt ihm aus dem Seelensumpf herauszureißen.

Kraft, die ihr zuletzt fehlte. Die Relin erzählt, dass sie "18 Jahre 24 Stunden am Tag begeistert Hausfrau, Mutter und Managerin zum Nulltarif war."
Dann, ein Tag im Oktober 2001. Sie erinnert sich: "Mein Mann und ich lagen im Bett und waren ausnahmsweise sehr lustig aufgelegt. Ich schilderte ihm in bunten Farben meinen Arbeits- pardon Hausfrauen-Alltag als Mutter von "nur" drei Kindern und meinen bitteren Zukunftsaussichten. Und wir lachten herzlich über meine lustige Geschichte von meiner Hetzerei durch den Tag und den manchmal vergeblichen Versuchen, meine vielen Berufe miteinander zu vereinen."
Als sie aus dem Bett aufstand und er liegen blieb, drohte sie: "Ich starte eine Hausfrauenrevolution"
Sie fühlte sich jetzt wie eine "Revoluzzer-Mixtur" aus Che Guervera, Karl Marx mit einem Spritzer Alice Schwarzer. Sie schrieb und sammelte Beiträge für das Buch "If Pigs could Fly" und nannte es "Die Hausfrauenrevolution."

Marie-Theres Relin, Sie mutierten zur Emanze und Ihr armer Mann bleibt auf der Strecke?
Ich liebe die Waffen einer Frau und setze meine erotischen Reize gern ein, allerdings verbunden mit Verstand. Im Bett haben der Franz und ich uns gegenseitig nichts vorzuwerfen gehabt, aber im Leben fühlte mich unterdrückt. Es eskalierte und kam zum Knall.

Wie das?
Ich hatte meine in einer Zwischenwelt lebende Mutter am Sterbebett öfters besucht und in ihrem wenigen lichten Momenten ein wunderbares Gespräch mit ihr geführt. Dann ihr Tod. Meine Gefühle liefen Amok, ich war dankbar, dass sie so friedlich ihre Zwischenwelt verlassen konnte, hatte aber Angst vor der "Treibjagd", die nun unweigerlich folgte. Darüber musste ich einen Text schreiben. Ich musste! Mein Mann aber wollte dies, verlangte jenes. Da habe ich zum allerersten Mal die Tür vor seiner Nase zugeknallt und gebrüllt: "Jetzt schreibe ich!"

Ein Befreiungsschlag?
Stimmt. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen, dass es jetzt um mich geht, um mein verdammtes Leben.

Wie waren die Gespräche mit Ihrer sterbenden Mutter?
Ich hatte sie abgöttisch geliebt. Früher hatte sie mich oft in tiefer Nacht von der Disco abgeholt, weil sie Angst hatte, dass ich allein trampte. Dann ihre Todesstunde. In einem Dämmerzustand lag sie auf ihrem Bett. Plötzlich bekam sie lichte Momente, drückte mich, meinte, ich solle keine Angst haben, lachte sogar, bis wir beide weinen mussten. Sie schenkte mir dann ihren Schlangen-Ring, da ist meine ganze Kindheit drin. Als ich an ihrem Grab stand, wurde mir bewusst: Die nächste Mutter die stirbt, bist du.

Und jetzt wollen Sie leben?
Ja, ich möchte volle Pulle leben, gemischt mit voller Pulle Revolution, eingetaucht in eine Fülle von Kreativität, transformiert und lebendig gemacht, durch Tanz, Musik, Schreiberei, kurz jeder Ausdrucksform, die Sprachlosigkeit zu durchbrechen, bringt mich meinem Leben näher.
Ein neuer Mann würde da vermutlich stören?
Das weiß ich nicht. Doch möchte ich derzeit keine Tiefschläge mehr, sondern die Purzelbäume des Lebens genießen.

Mit freundlicher Genehmigung von BUNTE



Dieser Artikel stammt von Hausfrauenrevolution
http://hausfrauenrevolution.com/html

Die URL für diesen Artikel ist:
http://hausfrauenrevolution.com/html/article.php?storyid=31