Ghita Cleri - Der Schatten.

Datum 28.01.2009 20:57 | Kategorie: Texte

„Du gehörst mir!
Ich habe Dich geschaffen!
Ich kann mit Dir machen was ich will!“

Wo bist Du?
Schau!
Sieh, was aus Dir geworden!
Erkennst Du Dich, findest Du Dich wieder?
Wer warst Du, damals?
Ich finde Dich nicht.
Du fehlst mir.
War ich damals schon in Dir?
Was hat Dich zu mir gemacht?

Ich ging den Weg der Befreiung
Nicht nur, um die Freiheit zu finden,
sondern um dich zu finden
und auch mich selbst.
Er war schwer, der Weg; er ist es noch.

Wann bist Du Ich geworden?

Ich sehe Dich, das Kind.
Freude, Lachen, Tanzen –
die Welt umarmen.
Keine Schatten, keine Angst.
Wann wurde deine helle Welt so dunkel?

Der Schatten kroch langsam auf Dich zu
und hüllte dich ein.
Keine Sonne mehr, kein Lachen;
Nur Kälte und Angst.
Er war gewaltig, der Schatten.
Er hat Dich aufgesogen und sich in Dich hineingedrängt.
Seine Finger nahmen Besitz von Deiner Haut.
Hände lagen dort, wo sie am meisten erdrücken.

Der Schatten drang ganz in Dich hinein.
Er nahm Besitz von Dir und machte Dich leer.
Überall wo Du hinsehen wolltest
verdunkelte er Deinen Blick.
Die Luft, die Du einatmetest, schmeckte nach ihm.
Alle Deine Schritte hat er begleitet.
Er war überall:
Vor und hinter Dir
Über und unter Dir
und tief in Dir drin.
Er war DU.
Du strecktest Deine Hände aus
Um nicht in ihm zu ersticken.
Doch keiner zog Dich heraus.
Leise Schreie – niemand hörte hin.

„Du willst den Schatten zerstören?!
Aber dann musst Du Dich selbst zerstören!“
Töten.
Du versuchst es – es gibt ja so viele Wege.
Doch der Schatten lässt es nicht zu.
Du kämpfst nicht mehr, lässt alles geschehen.

Jahrelang schaust Du Dir von außen zu.
Du schaust Dich an und Du begreifst, Du gehörst Dir nicht.
Auch Dein Körper gehört ihm.
Du weißt, außer Dir bemerkt niemand den Schatten.
Du bist in seiner Hand.
Du hast keinen eigenen Willen.
Du bist das Kind des Schattens und die Geliebte.

Du siehst die Anderen leben und schaust von weitem zu.
Am Anfang, manchmal, warst Du neidisch.
Irgendwann hat es Dich nicht mehr berührt.

Wann wurdest Du ICH?

Irgendwann auf Deinem Schatten-Weg hast Du angefangen Dich zu lösen.
War es, als Dein Körper Dich nicht mehr ertragen konnte – und Du ihn?
Als die äußeren Schmerzen die inneren Schmerzen überragten?
Als Du den Köper heilen musstest, spürtest Du da Deine Seele?
Du spürtest Dich selbst.
Wolltest du wissen, wer das ist?
Du blicktest auf
und die Angst vor dem Schatten wich langsam von Dir.
Du hast Dich umgedreht und NEIN gesagt!
Dann gingst Du Deinen Weg.
Du fühltest Dich schuldig – doch nicht schuldiger als all die Jahre vorher.

Du kamst langsam auf mich zu.
Irgendwann, da waren wir EINS.

MANCHMAL NOCH, TIEF IN MIR DRIN,
DA HÖRE ICH DICH WEINEN.
UND NOCH TIEFER,
DA HÖRE ICH DEIN LACHEN.
DAS LACHEN DES KINDES,
DAS ICH NICHT MEHR FINDE.
DAS LACHEN DES KINDES,
DAS ICH EINMAL WAR.


© Ghita Cleri



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