Monika Gerstendörfer - Sexualisierte Gewalt an Hochschulen

Datum 23.03.2009 15:45 | Kategorie: Texte

....was sich manche Studentinnen von Hochschullehrern bieten lassen müssen!

Ein Kommentar zu einem aktuellen Fall

Hintergrund:
Professor Ain K. der Universität Augsburg wurde wegen Bestechlichkeit zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten und einer Geldstrafe von 8000 Euro verurteilt.
Der 58-jährige Hochschullehrer hatte einer ukrainischen Studentin angedroht, sie würde ihre Prüfungen nicht bestehen, es sei denn…
Sie lehnt das „Sex“-„Angebot“ ab und fällt prompt bei der Klausur durch.
Ohne das abgeschlossene Studium bekommt sie aber keinen Job und muss Deutschland verlassen. Damit wären Studium, Lebens- und Berufsplanung umsonst gewesen. Das weiß der Professor und erpresst und nötigt weiter. Die Studentin ist jedoch mutig und gewitzt und geht in die nächste Besprechung mit versteckter Kamera und Mikrofon. Außerdem engagiert sie einen Detektiv. Erst danach lässt der Professor von ihr ab, geht zum Dekan und macht eine Selbstanzeige. Der Richter bleibt weiter unter dem Strafmaß, spricht den Täter vom Vorwurf der versuchten Nötigung in einem besonders schweren Fall frei, der Beamtenstatus des Täters bleibt so erhalten. Demnächst muss jedoch die Studentin, die ihre Prüfung inzwischen bei einem anderen Professor bestanden hat, vor Gericht. Wegen versuchter Nötigung und Bestechung!

Kommentar:
Der Fall ist wieder sehr typisch und bestätigt, dass Hochschullehrer, die sexualisierte Gewalt ausüben, ein hohes Maß an krimineller Energie und Niedertracht haben. Gerne suchen sich diese Männer die besonders verletzlichen Phasen im Studium (entscheidende Prüfungen, Magister- oder Doktorarbeiten) und/oder Studentinnen (Migrantinnen, ausländische Studierende) als Opfer heraus.


Perfide double-binds

Es ist unverständlich, warum man in diesem Fall nicht auch wegen Erpressung angeklagt hat. Völlig unklar ist auch, dass dem Täter das „Geständnis“ als positiv angerechnet wurde. Dieser hätte ohne das Beweismaterial doch nie geredet. Und genau dann hätten wir wieder einmal die klassische Aussage-gegen-Aussage-Situation! Von der wissen wir, dass es vor Gericht so ausgeht wie das berühmte Hornberger Schießen.
Fakt ist, der Täter wurde hier ausnahmsweise ertappt und versuchte danach alles, um Schadensbegrenzung (für sich!) zu erreichen; was ihm leider auch gelang.

Skandalös finde ich, dass sich die Studentin nun vor Gericht verantworten soll. Dabei heißt es immer, die Frauen sollen sich doch wehren!
Ja wie denn?
Diese hier war mal mutig und gewitzt; eine absolute Ausnahme! Prompt landet SIE nun vor Gericht und muss sich verantworten. Dafür, dass sie Schaden von sich und zukünftigen Opfern abgewendet hat?
Das bedeutet im Klartext: zum Thema „Gegenwehr“ können wir den Betroffenen absolut nichts Effektives anbieten, was garantieren würde, dass SIE - als Opfer! - am Ende nicht vor dem Kadi landen. Das ist aus psychologischer Sicht eine absolut katastrophale Botschaft. Double-Bind-Situationen. Und das noch vorprogrammiert: ‚Egal, was du tust oder ob du etwas tust oder nicht, es ist immer das Falsche.’
Ich halte das für ein Unding in diesem Rechtsstaat. Man macht die Frauen wehr- und chancenlos gegenüber solchen Kriminellen. Aber ganz sicher wird beim nächsten Fall, wo sich eine Studentin vielleicht nicht wehren konnte, der berühmte Satz kommen: „Warum hat sie sich nicht gewehrt?“


Entlarvende Sprache und falsche Problemstellung

Und schließlich die übliche Sprachführung, die deutlich darauf hinweist, dass die Verantwortlichen nicht begriffen haben, worum es hier in Wirklichkeit geht. Sie haben die Sprache des Täters kritiklos übernommen und auf dieser falschen Basis geurteilt.
Beispiele:
• er verlangte Sex,
• er wollte eine Affäre,
• er verlangt, ein sexuelles Verhältnis einzugehen,
• er hat sexuelle Dienste verlangt usw.

Was hat das, was der Täter seinem Opfer angetan hat, bitteschön mit Sexualität oder einer Affäre zu tun? Antwort: nichts.
Der Täter sexualisiert eine geplante Straftat im Bereich der sexualisierten Gewalt. So herum wird ein Schuh daraus! Da ist ein Satz wie: „Er bietet Sex an“, absolut zynisch. Was soll das für ein „Angebot“ sein? Wenn ich einem Menschen eine Ohrfeige anbiete, ist das auch ein Angebot?
Oder glaubt jemand allen Ernstes, dass dieses „Angebot“ aus der Sicht der Betroffenen etwas mit Sex oder gar mit einer Affäre zu tun hätte? Die Sache geht in den Problembereich der so genannten „Zwangsprostitution“, die jedoch nichts weiter ist als eine fortgesetzte Misshandlung von Seele und Körper; also Gewalt und Sklaverei.

M.a.W.: nimmt man die sexualisierende Darstellung des Täters und deren nachfolgende Bagatellisierung der Tat („Sexangebot“ vs. Erpressung, Nötigung, Angstmache, Existenzbedrohung) sowie der zukünftig geplanten Tat („Affäre“ vs. Vergewaltigung) weg und ersetzt sie durch die Tatbestände aus der Sicht des Opfers, dann hat man einen besonders schweren Fall von Nötigung vor sich. Mindestens!

Und es geht weiter:
Die Heimtücke des Täters wurde ebenfalls vergessen. Denn das, was der Professor da veranstaltet hat, ist heimtückisch. Sein Opfer hatte praktisch keine Freiheitsgrade. Genau auf dieser Klaviatur hat er gespielt und sich obendrein daran ergötzt.
Beispiele:
• Seine Geste, um seine „Forderung“ zu „kommunizieren“: sechs Finger in die Luft halten! Das ist nur ekelhaft und menschenverachtend.
• Dann Äußerungen wie „bei Zuneigung würde die nächste Prüfung mit Gottes Hilfe gelingen“.

Ja, er will sogar die Rolle von Gott übernehmen, als die Studentin erwidert, sie glaube nicht an Gott. So ein Mann gehört doch dringend raus aus einer Lehranstalt.

Solche Lehrenden kann und darf sich eine Universität nicht leisten.


Vorsicht Wiederholungstäter!

Dafür spricht auch seine erneut bagatellisierende Äußerung, nach der er am Ende er nur noch raus aus dem „Schlamassel“ will.
Genau diese Sprachführung zeigt, dass er überhaupt kein Mitgefühl für sein Opfer empfindet; kein Gefühl dafür, was er angerichtet hat. Er(!) sitzt angeblich in einem Schlamassel. Wie ein kleiner Junge, der irgendeinen alterstypischen Blödsinn gemacht hat.
Der Mann hat nichts begriffen und ist vor allem nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen. Hier ist ein Knackpunkt.
Dass Männer, die im Bereich der sexualisierten Gewalt Täter werden, Wiederholungstäter sind, ist übrigens lange bekannt.
Hat vor diesem Hintergrund einmal jemand gefragt, was er vor dieser Tat bereits alles verbrochen hat? Ob er nicht längst Existenzen von angehenden Akademikerinnen zerstört hat? Studentinnen in Panik versetzte, Studentinnen bereits vergewaltigte?
Fragt jemand, was er noch alles tun wird, sobald er sich wieder sicher fühlt?
Oder glaubt man ernstlich, dieser Mann würde hier zum allerersten und letzten Mal ein Studentin genötigt und belästigt haben? Das wäre dann der Glaube an Märchen.

Es ist an der Zeit, dass Hochschulen Flagge zeigen und mit dem Täterschutz aufhören. Sie haben die Pflicht, Studierende auszubilden. Studentinnen wie Studenten. Die Erfahrung von Gewalt gehört nicht dazu.

© Monika Gerstendörfer 2009

Quellen:
http://www.abendblatt.de/daten/2009/03/19/1091369.html
http://www.abendzeitung.de/bayern/94023
http://www.bild.de/BILD/news/2009/03/19/gute-noten-fuer-sex/hochschul-lehrer-erhaelt-bewaehrung.html
http://www.tz-online.de/aktuelles/bayern/tz-gute-noten-gegen-sex-bewaehrung-hochschullehrer-103471.html

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Aktueller BuchTIPP:

Monika Gerstendörfer: „Sine Laude - Sexismus an deutschen Hochschulen, Eine Kampfansage“, Diametric Verlag, ISBN 978-3-938580-19-6.
Kart.; ca. 160 Seiten
Erscheinungstermin: November 2009
EUR 19,90
Subskriptionspreis bis Erscheinen: EUR 16,90
www.diametric-verlag.de
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Bestellfax +49(0)931/7841231
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Klappentext aus dem Buch von 1994:
„Bei sexueller Diskriminierung, Belästigung und Gewalt geht es weder um „Bettgeschichten“ noch um „erotische Beziehungen“ zwischen einzelnen Lehrenden und Studentinnen. Es geht überhaupt nicht um Sex oder gar Liebe! Es geht um Sexismus, um geschlechtsspezifische Diskriminierungen, Herabwürdigungen und Ausgrenzungen, um Erpressungen, um Karriereknicks (bevor die Karriere überhaupt begonnen hat), um blanke Unverschämtheiten; ja, und auch um Sprech- und Denkverbote.“
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